Die Sprache dazwischen

Die Geflüchteten bringen Erfahrungen in unsere scheinbar sichere Welt, über die in verschiedener Weise gesprochen wird: politisch, juristisch, journalistisch, demagogisch und auch therapeutisch. Zuwenig wird aber über die schwierige und ambivalente Arbeit derer gesprochen, die diese Erfahrungen von einer Sprache in die andere zu vermitteln versuchen. Die in Wien lebende Übersetzerin, Dolmetscherin und Journalistin Mascha Dabić, die ihre Fähigkeit, zwischen den Sprachen zu wechseln und zu vermitteln unter anderem in der Traumatherapie von Hemayat einsetzt, hat darüber jetzt einen Roman geschrieben.

„Erschlagt die Armen!“: Dieses zynisch-verzweifelte Baudelaire-Zitat gab 2011 den Titel für das zweite Buch der bengalisch-französischen Autorin Shumona Sinha, in dem die Protagonistin, Dolmetscherin in einer französischen Asylbehörde, an der staatlichen Verwaltung von Flucht, Migration und Not verzweifelt. Am Misstrauen, das Lügen erzeugt, die sie wiederum in jene Standardsätze übertragen soll, die über Leben und Tod der Geflüchteten, über Asyl oder Ablehnung entscheiden. In diesem Geflecht droht sie zu ersticken, kann ihre eigene Rolle nicht mehr finden, bis sie schließlich selbst zuschlägt, und zwar mit einer Rotweinflasche auf den Kopf eines ihr fremden Migranten in der Pariser Metro.

Was Shumona Sinha verzweifeln lässt, steht auch im Zentrum der „Reibungsverluste“, des ersten Romans von Mascha Dabić: die Frage, wieweit in einer staatlich verwalteten Bedrohungssituation überhaupt Wahrheit gesagt werden kann, wieweit die Übersetzerin, die die geforderten (oder eben nicht den Anforderungen entsprechenden) Sätze in die Mehrheitssprache übertragen soll, sich zur Komplizin des Systems macht, und schließlich: wieweit das Traumatische, über das hier gesprochen werden soll, überhaupt Worte haben und seinen Weg von einer Sprache zur anderen finden kann.

Im Unterschied zu Shumona Sinhas Protagonistin dolmetscht Nora, die Erzählerin in Mascha Dabićs Roman, allerdings in einer therapeutischen, also scheinbar geschützten Situation: Hier entscheiden Sätze nicht über Schicksale, sondern sollen die Qualen der Erinnerung und der Wartesituation lindern. Ob dies gelingen kann, wenn bereits die Beantwortung der therapeutischen Einstiegsfrage „Wie geht es Ihnen heute?“ Abgründe sprachlicher und kultureller Differenz aufreißt, die Nora so gut es geht zu überbrücken versucht, bleibt offen. Gewiss ist jedoch: „Es gibt keinen sicheren Ort. Nirgends.“ – so zumindest lauten die letzten Sätze dieses klugen, selbstkritischen Buchs.

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