Im Labyrinth – Die Akademie der bildenden Künste, Wien I., Schillerplatz

Erwin Riess berichtete in seinen Kolumnen in der Stimme und im Augustin über den fast misslungenen Versuch, im Rollstuhl in die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz zu gelangen. Daraufhin veranlasste Rektorin Eva Blimlinger die Verbesserung der Beschilderung. Wir freuen uns und veröffentlichen den betreffenden Riess-Text auch an dieser Stelle. 

Es begab sich, dass Herr Groll und sein Freund, der Dozent, die Gemäldegalerie des Museums für Bildende Künste am Schillerplatz besuchten. Herr Groll hatte gelesen, dass in dem 1877 eröffneten düsteren Kunsttempel von Theophil Hansen eine Ausstellung über Mischwesen aller Art gezeigt werde und da er sich selbst als Mischwesen zwischen Mensch und Donaufrachtschiff verstand, wollte er Nachschau halten, ob die Ausstellung auch Verwandte präsentierte.

Nun war Herr Groll von vielen negativen Erfahrungen, was die Erreichbarkeit von Gebäuden und Kulturstätten anlangte, vorsichtig geworden und hatte sich Tage zuvor im Büro der Galerie erkundigt. Einfach draufloszurollen im Vertrauen darauf, man werde als Rollstuhlfahrer schon weiterkommen, ist im Österreich des Jahres 2017 ebenso unmöglich wie im Jahr 1822, als ein Graf Lamberg der kaiserlichen Akademie über 800 Gemälde – unter ihnen Meister vom Range eines Rubens, Ruysdael, Cranach, Holbein oder Tiepolo – vermachte und damit den Grundstein für eine Sammlung legte, die ihresgleichen sucht. Das Weltgerichtstriptychon von Hieronymus Bosch führt alle Todsünden auf, deren die Menschheit überführt werden kann. An prominenter Stelle taucht dabei die Verletzung der Barrierefreiheit auf, sagte Groll, ich will dieses Kunstwerk sehen, das den Zustand dieses Museums beschreibt.

Erwin Riess

Wie telefonisch geraten, hatten die beiden sich vor dem finsteren Eingang Makartgasse eingefunden, denn an der Hauptstiege hatten behinderte Menschen nichts verloren, und was bei anderen Museen der Welt längst eine Selbstverständlichkeit ist, ordentliche Lifte, Hebezeuge und Rampen beim Haupteingang, und das mit Piktogrammen beschriftet, ist es an der „Bildenden“ mitnichten. Zwar öffnete sich eine schwere Tür, dann ging es bergab in einen Hof und in einen zweiten. Und nirgendwo ein Liftzeichen oder ein Hinweispfeil für Rollstuhlfahrer. Der Dozent und Groll irrten in den Höfen und Gängen umher, aber jeder Vorstoß endete im musealen Nirwana. Schließlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Rückweg anzutreten und bei strömendem Regen in der Makartgasse neuerlich den Feldwebel von der Portiersloge anzurufen, denn um einen solchen handelte es, wie Groll feststellen musste, als der mieselsüchtige Zerberus in einem grauen Mantel auftauchte, auf einen verborgenen Lift hinter einer Tür deutete, und davonschlurfte.

Im ersten Stock suchten die beiden eine weitere halbe Stunde nach der Gemäldegalerie (dasselbe wiederholte sich später auf der Suche nach einer Behindertentoilette). Den Mühsamen und Beladenen sollte aber dann doch Erleichterung zuteilwerden.

Herr Groll erwarb an der Kassa einen Katalog der Mischwesen-Ausstellung, vergaß aber nicht, in scharfen Worten auf den diskriminierenden Umgang mit behinderten Menschen hinzuweisen, man möge dies der Rektorin Dr. Blimlinger ausrichten. Daraufhin äußerte die Dame an der Kassa die dümmste aller Ausreden, der Denkmalschutz verbiete ein Rollstuhlzeichen. Tatsächlich, mischte der Dozent sich ein, sei es umgekehrt, der Denkmalschutz bemühe sich immer, Lösungen zu finden, die den Zugang behinderter Menschen und den Schutz der Bauten sicherstellten. Es seien die „Kunden“, die in dieser Frage keinen Kontakt mit dem Denkmalschutz aufnähmen.

Durchnässt und abgekämpft begaben die beiden sich dann endlich auf den Rundgang durch die Gemäldegalerie. Lange verweilten sie vor Bosch´s Tryptichon, das Groll an ein gothic comic erinnerte.

Später saßen sie im teilweise barrierefreien Café Drechsler und ließen das Erlebte bei einigen Gläsern Veltliner aus dem Kamptal Revue passieren. Österreich habe 2008 unter dem Sozialminister Buchinger[1] die UNO-Behindertenkonvention unterzeichnet, die wichtigsten Inhalte dieser Konvention – Auflösung von Großheimen, schulische Inklusion, Barrierefreiheit – würden aber bis zum Jahr 2217 auch noch nicht erfüllt sein, meinte Groll. Der Vertrag verpflichte Österreich, die Ziele der Konvention unverzüglich in nationale Gesetze zu fassen und entsprechend zu handeln, bekräftigte der Dozent, tatsächlich geschehe nichts.[2] Hieronymus Bosch muss an die Österreicher gedacht habe, als er seine Mischwesen schuf. Groll widersprach: die Ausgeburten der Hölle seien freundliche Geschöpfe gegen die Protagonisten der heimischen Behinderten- und Sozialpolitik.

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[1] Mit Erwin Buchingers Abgehen als Bundesbehindertenanwalt verlieren die behinderten Menschen den letzten Verbündeten in der hohen Politik.
[2] 2005 wurde eine zehnjährige Übergangszeit zur Erreichung der Barrierefreiheit für öffentliche Gebäude, Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe sowie Geschäfte und Arztpraxen eingerichtet. Seit 1.1.2016 ist die Barrierefreiheit in Kraft. Die Wirtschaftskammer hielt aufklärende Seminare ab. Mittlerweile hat der Inhalt der Seminare gewechselt, nun wird den Betrieben diskret nahegebracht, dass man sich nicht sorgen solle, das Fehlen von Barrierefreiheit werde nicht sanktioniert, nicht einmal offensichtlich diskriminierende Baulichkeiten müssten saniert werden. So ist es kein Wunder, dass der Anteil der Geschäfte, die nicht barrierefrei erreichbar sind, zwischen knapp sechzig bis über achtzig Prozent beträgt. Es ist wie vor dreißig Jahren, Tendenz schlechter werdend. Von drei Bundesländern wurden mittlerweile Gesetze erlassen, die die verfassungsrechtlich geforderte Beseitigung von Barrieren ins Gegenteil verkehren. Auch im geförderten Geschoßwohnbau dürfen wieder Wohnungen ohne Lifterreichbarkeit gebaut werden.

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