Immunisierung gegen Rechtsextremismus?

Memorial and Museum Auschwitz-Birkenau. Oktober 2016 Foto: JS

 

Die Politikwissenschafterin Elke Rajal ist in ihren Forschungsarbeiten und als Trainerin auf Holocaust Education spezialisiert. Sie ist im Rahmen der Forschungsgruppe FIPU aktiv und publizierte im Buch „Rechtsextremismus: Prävention und politische Bildung“ gemeinsam mit Andreas Peham zur Frage, welcherart Politische Bildung in Schulen für die Rechtsextremismusprävention zielführend wäre.
Was versteht man* unter Holocaust Education?
Unter Holocaust Education versteht man* den pädagogisch-didaktischen Diskurs der Vermittlung von Werten und Wissen über den Holocaust (vgl. Kühner/Langer/Sigel 2008, 76). In dieser Definition steckt also schon drinnen, dass es um mehr geht als um Wissensvermittlung – es sollen auch Werte transportiert werden – und hier verschwimmen sehr schnell die Grenzen zu anderen Lehr- und Lerngebieten bzw. -ansätzen, wie etwa Menschenrechtserziehung, rassismuskritischer Pädagogik usw.

Historisch-politische Bildungsarbeit über den Nationalsozialismus wird oft als Immunisierung gegen Rechtsextremismus verstanden. Du stellst das infrage. Wieso?
Genau, oft herrscht der Gedanke vor, man müsse nur genügend über den Nationalsozialismus lernen, dann könne der Rechtsextremismus ja nicht mehr attraktiv sein. Und dieser „Bauch-Gedanke“ ist ja auch nachvollziehbar: Wer sich intensiv mit dem Nationalsozialismus beschäftigt und immer noch Lust auf eine Wiederholung hat, mit dem kann doch etwas nicht stimmen. Aber genau das ist der Punkt: Hier wird zum einen der Faktor „Faszination“ unterschätzt, zum anderen das Angebot, das menschenverachtende Ideologien bieten: eine einfache Erklärung für Dinge, die sich nicht so einfach verstehen lassen, die Einteilung von Menschen in fixe Gruppen und damit auch Zugehörigkeit und die Möglichkeit zur Abgrenzung zu anderen inklusive Überhöhung der Eigen-Gruppe,…

Wie sollte kritische Politische Bildung aussehen?
Kritische Politische Bildung muss die Grenzen von Pädagogik anerkennen. Probleme, die durch die politisch-ökonomische Verfasstheit der Gesellschaft hervorgebracht werden, können nicht allesamt pädagogisch gelöst werden. Dennoch lohnt es sich, sie auch in pädagogischen Settings zu behandeln. Wichtig ist dabei, dass auch die Vermittler_innen ihre eigene Verstricktheit in die herrschenden Ideologien, in Rassismus, Antisemitismus, Sexismus usw., reflektieren und diese nicht nur bei anderen suchen. Kritische Politische Bildung heißt für mich, die Fähigkeit, die Gesellschaft zu begreifen, zu fördern und damit allzu einfachen Erklärungsversuchen, wie etwa Verschwörungstheorien, den Boden zu entziehen. Das heißt auch, die Fähigkeit zur Ideologiekritik, die Analyse- und Diskursfähigkeit im Allgemeinen sowie die Handlungskompetenz zu stärken. Man könnte ein bisschen altmodisch auch „Erziehung zur Mündigkeit“ dazu sagen.

Was können Besuche von Gedenkstätten leisten und was nicht? Bzw. wie sollten sie gestaltet sein, um eine emanzipative Funktion zu erfüllen?
Gedenkstättenbesuche bedürfen einer intensiven Vor- und Nachbereitung, in der zwar die Funktion der Lager und die Gräuel in den Lagern im Vordergrund stehen dürfen, aber auch thematisiert werden muss, dass sich nicht alles versteckt hinter KZ-Mauern abgespielt hat. Gedenkstättenbesuche sollten auf jeden Fall in eine umfassende Vermittlungstätigkeit über den Nationalsozialismus als politisches System und über die damit verbundenen Ideologien, wie etwa Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus, Antislawismus usw. eingebettet sein.

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