Strategie der Polarisierung und Double-bind-Effekt

Es ist schon wieder passiert. Seit die türkisblaue Regierung die Geschicke dieses Landes von so ziemlich rechts aus zu bestimmen sucht, passiert es eigentlich Woche für Woche. Zunächst war es das Verbot zum Rauchverbot, dann die traditionsreichen Gesangsvereine der am Gesicht geschmissenen Burschenschafter, anschließend die Streichung der Kinderbeihilfe für Nicht-Österreicher_innen, Kürzung des Integrationsbudgets, Zerschlagung der AUVA (die Liste ist ostentativ unvollständig), und jetzt ist es wieder passiert: Kopftuchverbot für Mädchen in Kindergarten und Volksschule – ja oder nein? Bist du dafür oder dagegen?

Kopftuch und andere rote Tücher

Nachdem sie sich aus der Schockstarre gelöst haben, melden sich nun Expert_innen und Wenigerexpert_innen öffentlich zu Wort. Es wird in der Straßenbahn, am Stammtisch und im Schlafzimmer ebenso heftig debattiert wie im TV-Studio und auf Facebook. Die einen meinen, sie wollten es eh immer schon vorschlagen. Mögen die falschen Leute das Thema eingebracht haben, weniger richtig sei die Forderung deswegen doch nicht! Die anderen wiederum sagen ihr ewiges Mantra von Religionsfreiheit auf und halten dem Verbot Vergleiche mit Kreuz und Kippa entgegen. Freundin und Feind gruppieren sich um; es entstehen neue Fronten und Trennungslinien.

Es gibt in solchen kollektiven Disputationen keine Mitte, die ist ausgeschlossen. Entweder bist du für etwas oder dagegen. Wer versucht, sich in eine dritte Position zu bewegen oder die vorgegebene Frage ein wenig komplexer zu beantworten, hat sich schon ins Out katapultiert. Komplexe Antworten interessieren niemanden, sie werden als elitär und intellektuell verspottet und zurückgewiesen.

„Eigentlich seid ja ihr selber an diesen populistischen Strömungen schuld“, greifen die „Volksversteher_innen“ jene an, die ihre Antworten jenseits dualistischer Schemata anbringen wollen. „Ihr nehmt die verständlichen Ängste der Bevölkerung nicht ernst genug und redet in einer unverständlichen Sprache. Das Volk will aber sachliche und klare Antworten und läuft zu denen über, die ihnen solche Antworten bieten.“

Es heißt, es sei den Medien zuträglich, polarisierende Diskussionen anzuheizen. Auf den Punkt gebrachte Formulierungen sind verständlicher und besser vermarktbar. Diese bilden wohl auch gute Gründe für die Politik. Binäre Fragen motivieren die Bürger_innen, sich an der Diskussion zu beteiligen, somit sind sie partizipativer als komplexe Fragestellungen. Die „Leute“ finden sich darin wieder, das bewegt sie politisch.

Polarisiere und herrsche!

Es handelt sich dabei eigentlich um eine Strategie der Polarisierung. Polarisiere und herrsche! – so könnte man die Strategie umschreiben. Das ist auch der Grund, warum sogenannte populistische Parteien und demagogische Politiker_innen dazu neigen, vor allem in für sie brenzligen Situationen (etwa bei budgetären Problemen, Korruptionsfällen, bei den die lange anhaltende Macht oft umgebenden Skandalen etc.) polarisierende Fragen zu forcieren. Vor allem solche, die Sündenböcke eindeutig identifizieren helfen und Rekrutierung wie Mobilisierung der großen Bevölkerungsteile gegen sie ermöglichen. Stammtischphrasen sowie Hassreden im Netz weisen denselben Mechanismus auf.

Der namhafteste politische Theoretiker dieser Strategie ist wohl Carl Schmitt, der als „Kronjurist des Dritten Reiches“ gilt:

„Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz verwandelt sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren.“[1]

Jede Pro-Contra-Fragestellung ist ein Mittel für populistische (autoritär-etatistische, bonapartistische, oder wie wir sie sonst nennen wollen) Politiken und Politiker_innen, um die Bevölkerung in zwei Gruppen aufzuspalten: Wir und die Anderen, das wahre Volk und die parasitären Eliten, Freund und Feind … Und man kann sich diesem Zwang der Spaltung nicht entziehen.

Allerdings gilt es heute, nach Erfahrungen des Nationalsozialismus, Themen und Sprache so zu wählen, dass kein Eindruck von Grobschlächtigkeit entsteht. So sagen uns Populist_innen: „Wir gehen allgegenwärtige, aber unausgesprochene Probleme an!“ Die große populistische Leistung von Sebastian Kurz ist, und das bereits seit seiner Funktion als Integrationsstaatssekretär, den codehaften rechtsextremen Sprech „Das wird man doch noch sagen dürfen!“ in „Darüber müssen wir ohne Furcht und ganz sachlich reden!“ umformuliert zu haben.

Wie reden?

Für alle, die etwas komplexer zu denken gewöhnt sind, stellen sich angesichts des Zwangs zur Beteiligung an einer Ja-Nein-Debatte folgende Fragen: Wie kann ich darüber reden, ohne genauso parolenhaft zu klingen wie diese? Wie kann ich meine Position deutlich machen, ohne in das Freund-Feind-Schema zu verfallen? Wie kann ich überhaupt in rassistisch oder sexistisch besetzten „Diskurs-Räumen“ (auch selbstkritische) Positionen vertreten, ohne von sexistischen und rassistischen (oder sonstwie diskriminierenden) Diskursen vereinnahmt zu werden?

Seit Jahren beschäftigen diese Fragen ohne Zweifel die meisten von uns, wenn es beispielsweise um den Antisemitismus vieler Migrant_innen, um straffällig gewordene Zugewanderte oder um das leidige Kopftuch geht. Viele von uns – ich gehöre jedenfalls dazu – geraten bei polarisierenden öffentlichen Debatten in eine Zwickmühle, die an den psychischen Double bind-Effekt erinnert. Wir stehen zwischen Skylla und Charybdis: schweigen (wodurch wir eine unpolitische Rolle in Kauf nehmen) oder Partei ergreifen (wodurch wir die Vereinnahmung in Kauf nehmen)?

Wenn von Double bind die Rede ist, muss auch betont werden, dass per definitionem kein Weg aus dieser Pradoxie hinausführt. Man muss sich im Außen der Denkweise positionieren, die zur Zwickmühle geführt hat. Es gibt keine richtigen Antworten auf falsche Fragen! Indes, wie soll ich das jenen erklären, die sich emsig an der Lösung der falschen Frage abmühen?

Plausible Antworten auf diese Fragen wären zweifelsohne ein guter Anfang, die „autoritäre Wende“, deren Zeug_innen wir sind, gemeinsam abzuwenden.

[1] Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. Berlin 2002 (7. Auflage): 37.

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