8. April, Internationaler Tag der Roma

Mein Vater war zwar sehr stolz auf mich, als ich anfing, mich für die Belange der Roma einzusetzen, aber er hat auch immer gesagt: “Pass auf, pass auf!”.

Mirjam Karoly im Gespräch mit Cornelia Kogoj über die Gründung der ersten Romavereine in Österreich [1].

Am 13. März 1987 überbrachten junge Oberwarter Roma dem damaligen Bundespräsident Kurt Waldheim eine Petition, in der sie sich gegen das Lokalverbot in Oberwarter Diskotheken wehrten, aber auch gegen die Vermerke in den Stellenvermittlungen des Oberwarter AMS: „Bitte Zigeuner nicht vermitteln“. Mirjam, Du warst damals 17 Jahre alt. Wie hast Du das hier in Wien erlebt?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich genau erinnere, das liegt schon so lange zurück [lacht]. Ich kann mich aber gut an die Vereinsgründung des ersten Roma-Vereines, 1989, in Oberwart erinnern. Ja, als Initialzündung für die Gründung galt, dass jungen Roma-Angehörigen der Zugang zu Diskotheken verwehrt wurde. Und da haben wir uns dann entschlossen, uns das nicht mehr gefallen zu lassen. Und in weiterer Folge wurde dann der Verein in Oberwart gegründet.

Diese Vereinsgründung – die erste Selbstorganisation von Roma in Österreich – wie war das damals?

Ja, es war krass. Ich habe damals g’rade meine Matura gemacht und da ist Edi Karoly [2] immer wieder zu uns nach Hause gekommen – er ist auch in andere Roma- und Sinti-Familien gegangen –, um Unterschriften zu sammeln, und um uns über dieses Ereignis in Oberwart [das Diskothekenverbot, Anm.] zu informieren. Und wir haben auch immer wieder darüber geredet, dass die Geschichte der Roma und Sinti in den Schulbüchern gar nicht vorkommt. Ja, und wir haben uns auch überlegt, was wir sonst noch machen können. Oberwart mit seinem ersten Roma-Verein war da schon ein Vorbild für uns, weil ja, das war das erste Ereignis von Selbstorganisation.

Dieses Ereignis war wahrscheinlich auch sehr wichtig für die gemeinsame Erfahrung als Gruppe?

Ja unbedingt. Da waren auch noch Elisabeth Feuerstein und ihr Vater, Ludwig Papai [3], die damals sehr beteiligt waren. Und natürlich ganz wichtig war das Buch von Ceija Stojka Wir leben im Verborgenen [4], das damals erschienen ist. Da war dann etwas mehr öffentliche Aufmerksamkeit vorhanden. Eine wichtige Geste war auch die Bildung des Nationalfonds und die ganze „Wiedergutmachungs“-Debatte. Und eine wichtige Rolle spielte die Historikerin Erika Thurner [5], die ihr Buch über das Lager Lackenbach herausbrachte. Aber auch Claudia Mayerhofers Buch Die Dorfzigeuner, in dem erstmals die Geschichte der Roma in Österreich geschrieben wurde. Und natürlich die Veranstaltungen, die Uschi Hemetek und Ilija Jovanović im Celeste durchgeführt haben, oder die Veranstaltungen von Christa Stippinger im Amerlinghaus.

Das heißt, da ist dann etwas aus dem Burgenland nach Wien „rübergeschwappt“?

Ja, man hat das mit großem Interesse verfolgt, was da im Burgenland passiert ist. Und man hat das mitunterstützt. In Wien gab es bald eine Gruppe, die sich regelmäßig getroffen hat. Da waren nicht nur Roma dabei, da waren auch Menschen- und Minderheitenrechtsaktivist*innen wie Mozes Heinschink, Uschi Hemetek, Erika Thurner. Und dann gab es auch den Rudi Sarközi, der den Kulturverein österreichischer Roma gegründet hat. Andere haben dann gemeint, es bräuchte etwas breiteres, denn irgendwann waren nicht nur österreichische Roma dabei, sondern auch solche die migriert sind, wie Ilija Jovanović und die gesagt haben: „Machen wir was!“. Das hat dann zur Gründung des Romano Centros geführt.

Und relativ bald ist es dann auch um die Frage der Anerkennung als Volksgruppe gegangen?

Ja! Wir haben gesehen, die anderen Volksgruppen wie die Burgenland-Kroaten, oder die Ungarn, die Kärntner Slowenen, die haben Vereine, die sind organisiert und bekommen eine Volksgruppenförderung, haben dadurch bestimmte Rechte und sind im Volksgruppengesetz verankert. Es ging um die Anerkennung durch den Staat Österreich. Wir sind Teil dieser Gesellschaft und wir wollen nicht diskriminiert werden. Das war eigentlich das wesentliche Element. Aber ich kann mich noch an die Diskussionen innerhalb der Community – auch innerhalb meiner Familie – erinnern, in denen es darum ging, ob es klug sei, dass wir als Volksgruppe anerkannt sind? Oder führt das eigentlich nicht zu noch mehr Diskriminierung? Weil dann sind wir sichtbar und als ‚Zigeuner‘ stigmatisiert. Es waren unterschiedliche Haltungen damals.

Und wie ist das mit Dir weiter gegangen? Du warst ja dann ziemlich lange sehr aktiv im Romano Centro?

Ja. Einerseits war ich durch meinen Vater sehr geprägt, der hat sich sehr in diese ganzen Diskussionen eingebracht. Und mit ihm war ich dann bei dieser Veranstaltung im Amerlinghaus [6]. Da habe ich den Ilija Jovanović das erste Mal gesehen, der hat geredet und ich habe mir gedacht: „Wow, ein Roma-Intellektueller!“ Ich war damals noch eine Schülerin und sehr beeindruckt. Dann gab es Bücher, die mich beeinflusst haben. Und dann habe ich angefangen – und das natürlich nicht zufällig – Politikwissenschaften zu studieren. Das war so mein Zugang, das aufzuarbeiten, was in Österreich mit den Roma passiert ist. Und auch was in meiner Familie passiert ist. Ja, das war sicherlich aus so einem Gefühl des Idealismus und der Gerechtigkeit heraus. Und dann hab ich mich als Volontärin beim Romano Centro beworben. Die hatten damals schon eine tolle Bibliothek. Da habe ich Bücher für meine Seminararbeiten ausgeliehen. Und dann hab ich als Diplomarbeitsthema die Anerkennung der Roma in Österreich [7] gewählt und gedacht, ich werde ganz idealistisch ein bisschen Licht auf die vernachlässigte Anerkennung der Roma in Österreich bringen. Und ich habe damals gedacht, das mache ich und das wird dann gut sein und das Ende sein. Aber das war es dann nicht, das war eher der Einstieg.

Du bist eine der wenigen aus Deiner Generation, die sich engagieren, warum?

Wenn ich die Burgenland-Roma aus der Generation meines Vaters anschaue, die 1945 aus den Lagern zurückgekommen sind, das war eine Generation, wo man eher versucht hat, nicht aufzufallen. Das macht was mit einem: also, dass man die Sprache nicht spricht. Mein Vater war zwar sehr stolz auf mich, als ich anfing, mich für die Belange der Roma einzusetzen, aber er hat auch immer gesagt: „Pass auf, pass auf!“. Viele von meiner Generation haben das so stark mitbekommen, dass man froh war, überhaupt einen Job zu haben. Was man jetzt aber sehr schön sehen kann, sind die Früchte der Bewegung. Die Jungen heute sind stolz darauf, Roma und Sinti zu sein und sie kämpfen gegen Diskriminierung. Da sind wir heute sicherlich schon einen Schritt weiter.

 

[1] Dieses Gespräch wurde am 11. November 2014 für den Katalog zur Ausstellung Romane Thana. Orte der Roma und Sinti geführt. Der Beitrag war Teil der Ausstellungsstation zur Geschichte der Roma-Selbstorganisationen.

[2] Eduard Karoly war im Bundessozialamt der erste Roma-Beauftragte in einer staatlichen Institution in Österreich.

[3] Ludwig Papai war der erste Obmann des ersten österreichischen Roma-Vereins, des Vereins Roma Oberwart.

[4] Ceija Stojkas Buch „Wir leben im Verborgenen. Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin“ ist 1988 erschienen.

[5] Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, Diss., Salzburg 1983.

[6] Die Veranstaltung „Volk ohne Rechte – Zur Geschichte, Kultur, Lebensform und Verfolgung der Roma und Sinti“ fand 1991 im Amerlinghaus Wien statt.

[7] Mirjam Karoly: Roma in Österreich. Zur Genese einer Minderheit, Dipl. Univ. Wien, 1998.

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Mirjam Karoly, geb. 1970, Politologin, leitete bis August 2017 die OSZE-Kontaktstelle für Roma-und-Sinti-Fragen beim Büro für Menschenrechte und Demokratisierung in Warschau; stellvertretende Vorsitzende des Beirates der Roma in Österreich, Vorstandsmitglied von Romano Centro und des European Roma Rights Center. Sie verfasste im Rahmen des Web-Projekts “Was wir fordern! Minderheitenbewegungen im 20. und 21. Jahrhundert” der Initiative Minderheiten den Beitrag Opre Roma thaj Romnja – Reflexionen aus der österreichischen Roma-Bewegung.

Foto: Demonstration von Roma-Aktivist*innen gegen die Abschiebung von Roma aus Frankreich, 2010. Aus der Ausstellung Romane Thana. Orte der Roma und Sinti

© Romano Centro, Wien

 

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