Die Suche nach Zeichen

Jüngst erschien im Standard ein Artikel, in dem die Sprache Herbert Kickls auf das NS-Vokabular hin untersucht wird. Eine ganze Seite voller Treffer!

Eigentlich wird diese Suchaktion nach Sprachrestln der „Ehemaligen“ in regelmäßigen Abständen veranstaltet, schon seit Jörg Haiders Zeiten: durch unterschiedliche Printmedien, im Nachrichtenfernsehen und naturgemäß von Kabarettist*innen, die, nebenbei gesagt, hierzulande inzwischen die Funktion von „public intellectuals“ übernommen haben.

Foto: privat

„Da spricht der Geist von damals!“ lautet die Botschaft bei nämlicher Suche. Aus zweierlei Gründen finde ich eine solche Parallelisierung problematisch. Erstens wegen der reflexhaften Berufung auf den Nationalsozialismus. Ja, es gibt die Wiederholung von Nazi-Ausdrücken in der Rhetorik vieler FP-Politiker*innen. Es ist keine Kunst, solche Perlen in der Verbal-Muschel etwa von Kickl zu entdecken, zumal es Bestandteil seiner rhetorischen Strategie ist, solche als gut (wieder-)erkennbare Codeworte in die Rede zu streuen. Es handelt sich um eine multieffektive Strategie.

Einerseits soll signalisiert werden, dass man noch immer linientreu ist; man hat das politische Lager nicht verlassen, kämpft dort trotz der juridischen Widrigkeiten in Ehre und Treue für die Sache. Dieser harte Tobak ist jedoch an entsprechend hartgesottene Kernwähler*innen adressiert, die einen eher kleinen Prozentsatz ausmachen. Für jene, die bei den Wahlen den „Herrschenden da oben“ eins auswischen wollen, ist hingegen der Provokationsaspekt reserviert: „Schaut her, kaum reden wir von Werten wie Ehre und Vaterland, von Umvolkungsgefahr und Entwurzelung, packen schon die linkslinken Globalisten die Nazi-Keule aus!“ Die Wechsel- und Wutwähler*innen bekommen zusätzlich zur Rache an Eliten a Gaudi im Bierzelt vorserviert, wenn sie einem Politkasperl dabei zusehen, wie er im Stil des Villacher Faschings Witze reißt. Das ist populär und populistisch, das sitzt.

Wenn darauf liberale Kritiker*innen „Das ist die Sprache der Nazis!“ aufschreien, müssen sie in nicht seltenen Fällen mit der Antwort rechnen: „Na und?“ Vielen Wähler*innen macht das wirklich nichts aus. Und zwar nicht, weil sie selbst etwas für das NS-Regime übrighätten, sondern weil dieses für sie Schnee von gestern ist. Die FPÖ gewinnt nicht wegen des signalhaften Gebrauchs von NS-Vokabular. Sie gewinnt, weil sie dieses Vokabular auf eine aktuelle Lage mit neuen Zielscheiben ummünzen kann. Schon seit Jahrzehnten forciert sie neue Feindbilder, die sie in die Simulation eines Klassenkampfes zwischen Machthabern und Machtlosen einbetten kann. Diese neu- en Feindbilder sind – je nach Konjunktur – Zugewanderte, Geflüchtete, „fremde“ Kulturen und Religionen, aber auch die EU mit ihren Bürokraten, ja sogar die Corona-Impfung. Von Bestand ist einzig die Figur, die die FPÖ bei diesem „Klassenkampf“ zwischen dem Volk und den Eliten mimt: jene des Alpen-Robin-Hoods.

Ich meine nicht, dass die NS-Ideologie, der Rassismus und der Antisemitismus, das suchthafte Sehnen nach autoritärer Ordnung keine relevante Rolle in der Geschichte und Gegenwart dieser Partei sowie für einen Teil ihrer Wähler*innen spielten. Es ist notwendig, solche Denk- und Rede-Elemente in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Allerdings ist das nicht effektiv gegen den Aufstieg der FPÖ mit ihrem Volkskanzleranwärter. Das Aufdecken des Nationalsozialistischen im Freiheitlichen (oder Identitären) kann daher im „besten“ Fall juridische Maßnahmen erzielen. Eine politische Gefahr juridisch bekämpfen zu wollen, bringt jedoch längerfristig keine Abwehr der Gefahr.

Und zweitens die Sprache, es ist wieder die Sprache! Dass die Politik der Zeichen mittlerweile hegemonial geworden ist, zeigen nicht nur die internen Debatten über korrekte und verbotene Wörter, welche derzeit als Sturm in der linksliberalen Blase stattfinden. Denn siehe, auch der Kampf gegen den aufhaltsamen Aufstieg eines weiteren Arturo Ui in freiheitlichem Gewand (des dritten in Serie!) wird am liebsten vom Revier der Sprache heraus geführt. Nach Zeichen (der NS-Sprache) suchen, Zeichen finden, Zeichen deuten, auf Zeichen hinweisen und dagegen ein Zeichen setzen: Darin erschöpfen sich liberaldemokratische Politiken heute.

Natürlich hatte Viktor Klemperer recht, wenn er inmitten des NS-Regimes (wenn wir unbedingt bei diesem Beispiel bleiben wollen) von Worten sprach, die ihre „Giftwirkung“ wie „winzige Arsendosen“ erst mit der Zeit ausbreiten. Keine Frage, Sprache ist ein Schauplatz politischer Kämpfe, ein sehr wesentlicher obendrein. Und dennoch waren es nicht oder nicht vornehmlich die Worte, die jenes Regime ermöglichten und Millionen von Menschen einem wörtlichen Giftmord zuführten.

So ist es beispielsweise auch keine zeichenhafte Politik, wenn der Chef-Identitäre in einer Rede die Deportation von eingebürgerten Migrant*innen als politische Möglichkeit in Aussicht stellt. Gegen eine solche „Vision“ kann man kein wirksames Zeichen setzen, sondern sie muss mit allen politischen Mitteln verunmöglicht werden.


Die Kolumne “Stimmlage” erschien in der STIMME, 130/2024

Illustration: Fatih Aydoğdu

Hakan Gürses ist in der politischen Erwachsenenbildung tätig. Von 1993 bis 2008 war er Chefredakteur der Zeitschrift Stimme von und für Minderheiten, von 1997 bis 2011 Lektor und Gastprofessor für Philosophie an der Universität Wien. Seine Kolumne “Stimmlage” erscheint regelmäßig in der STIMME.