„BDS ersetzt politische Analyse und Kritik durch ein pseudo-antikoloniales Narrativ“

BDS, kurz für “Boycott, Divestment, Sanctions” ist eine internationale politische Kampagne gegen Israel. Sie entstand eigenen Angaben zufolge 2005. Seit einiger Zeit hält auch die österreichische BDS-Gruppe regelmäßig Veranstaltungen in der Öffentlichkeit ab, zuletzt eine Kundgebung vor der Universität in Wien am 29.11.2016.

Julia Edthofer, Soziologin mit Forschungsschwerpunkten Rassismus und Antisemitismus und Teil der Forschungsgruppe „Ideologien und Politiken der Ungleichheit“ (FIPU), erklärt, was die Gruppe fordert und warum BDS in linken Zusammenhängen oft ein „Selbstläufer“ ist.

 

Was genau fordert BDS?

Im Grunde die Selbstauflösung des israelischen Staates, wenn die Forderungen ernst genommen werden. BDS fordert nämlich einerseits den Siedlungsabbau und Abzug aus dem Westjordanland; andererseits aber auch die rechtliche Gleichstellung von Palästinenser_innen innerhalb Israels und das so genannte „Rückkehrrecht“ für Flüchtlinge von 1948 und deren Nachkommen. Die beiden letzten Punkte sind das Problem: die maximale Rückkehrforderung umfasst je nach Rechnung bis zu 7 Millionen Menschen, was de facto einer Staatsauflösungsforderung gleichkommt. Sogar Norman Finkelstein, der ja nicht unbedingt für seine pro-israelischen Positionen bekannt ist, hat BDS schon vor Jahren für diese implizite Aufforderung zur Selbstauflösung kritisiert und gemeint, dass hier Menschenrechts-Rhetorik für unrealistische Maximalpositionen benutzt wird, die sicherlich nicht zu einer Lösung beitragen. Auch die zweite Forderung ist problematisch, denn sie suggeriert, dass Palästinenser_innen aktuell keine Bürger_innenrechte haben, was schlichtweg nicht stimmt. Diese Behauptung wird daher auch oft gemeinsam mit dem berühmten Apartheid-Vergleich aufgestellt, den z.B. Uri Avnery schon vor Jahren als falsch kritisiert hat. Denn ganz plakativ gesagt: würde in Israel tatsächlich Apartheid herrschen, dann könnte der Begründer der BDS-Kampagne, Omar Barghouti, sicherlich nicht an der Uni Tel Aviv studieren und von dort aus den Boykott organisieren.

 

Wer sind BDS Austria und mit wem arbeiten sie zusammen?

BDS Austria ist eine relativ kleine Gruppe und kommt vor allem aus dem traditionellen antiimperialistischen Spektrum der radikalen Linken. Hauptsächlich setzt sie sich aus dem Umfeld des Vereins Dar al Janub zusammen, dessen Vorgängerorganisation Sedunia bereits im Jahr 2003 massiv dafür kritisiert wurde, dass sie eine Gedenkveranstaltung für das Novemberprogrom 1938 mit anti-israelischen Parolen störte. Dann gibt es noch einen erweiterten Unterstützer_innenkreis, der vor allem aus dem Umfeld der Frauen in Schwarz und der Antiimperialistischen Koordination (AIK) besteht und noch andere Einzelpersonen aus dem trotzkistischen bzw. marxistisch-leninistischen politischen Spektrum. Wie gesagt, ist in Österreich die Gruppe ziemlich klein und außerdem von einem Polit-Spektrum besetzt, das politisch im Grunde irrelevant ist. Ganz anders sieht die Sache z. B. an amerikanischen Universitäten oder auch in der linken Kunstszene aus, wo Antizionismus quasi als das „Ticket“ zum (wirklich) Links-Sein behandelt wird und BDS daher ein ziemlicher Selbstläufer ist.

 

Was ist an der BDS-Kampagne zu kritisieren?

Neben der konkreten und punktuellen Kritik an Aktionen der BDS-Kampagne, bei denen Israel regelmäßig dämonisiert wird, ist aus meiner Sicht vor allem das unhinterfragte Kolonial-Narrativ zu kritisieren – und zwar vor allem deshalb, weil es genau mit der Frage zusammenhängt, warum BDS eigentlich so ein Selbstläufer ist. Denn das ist eigentlich relativ leicht mit der einfach gestrickten Symbolfunktion des israelischen Staates zu erklären. Israel dient als Projektionsfläche für das „neokoloniale Böse“ und das erlaubt dann ganz simple und eindeutige Antworten auf die komplizierte kapitalistische und postkoloniale Welt. Anders ausgedrückt: Die Gründe für diese Resonanz liegen in der strukturell antisemitischen Dimension der BDS-Bewegung, da politische Analyse und Kritik durch ein pseudo-antikoloniales Narrativ ersetzt werden. Das merkt man auch daran, dass Dinge, die nicht ins Bild passen, systematisch ausgeblendet werden. So findet sich z. B. in keinem BDS-Pamphlet ein Hinweis darauf, dass sich sogar Mahmud Abbas deutlich gegen BDS ausgesprochen hat oder dass ausgerechnet palästinensische Arbeiter_innen mitunter am meisten unter dem Boykott leiden, weil ihre Arbeitsplätze – wie bspw. im bekannten Fall von Soda Stream – verloren gehen. Das kann und sollte aus meiner Sicht übrigens aus einer dezidiert linken Perspektive kritisiert werden, die nicht suggeriert, dass im Westjordanland doch eh alles eitel Wonne sei. Erstens würden damit Opferkonkurrenzen reproduziert und zweitens ist es viel wichtiger zu verstehen, dass es bei dem Kolonial-Narrativ um Projektionen statt um politische Kritik geht und sich damit auseinander zu setzen, warum es trotzdem wie geschmiert funktioniert. Insofern denke ich, dass in Bezug auf BDS die wohl wichtigste Aufgabe ist, die Symbolfunktion des israelischen Staates als eine aktuelle Form von israelbezogenem Antisemitismus zu erkennen und dementsprechend zu kritisieren.

 

3 Antworten

  1. Jana Sommeregger sagt:

    Gerne veröffentlichen wir eine Antwort von Julia Edthofer zu diesem Kommentar:

    1.) Bezüglich des Vorwurfs der falschen Wiedergabe der 3 Hauptforderungen von BDS bitte lade ich interessierte Leser_innen ein, sich selbst ein Bild zu machen und meine Darstellung der Forderungen direkt mit der Formulierung auf der Homepage der Gruppe abzugleichen : https://bdsmovement.net/call#German

    2.) Der Autor sollte dringend sein Wording überdenken — insbesondere der Begriff “Judenverbände”, hier unter anderem verwendet für linke (hauptsächlich, aber nicht nur) jüdisch positionierte israelische Gruppen wie etwa Peace Now, Ta´ayush, B´Tselem, Boycott from Within etc., ist aus meiner Sicht äußerst problematisch. Ein Blick auf die konkrete politische Arbeit der einzelnen hier angesprochenen Gruppen würde zudem verdeutlichen, dass nur letztere BDS direkt unterstützt, während die anderen viel stärkeren Fokus auf “on the ground” wirksamen Polit-Strategien haben, wie etwa Rechtsberatung für Palästinenser_innen, um dem anhaltenden Land Grabbing in der Westbank entgegen zu wirken, o.Ä. Dass dieser Unterschied eingeebnet wird, lässt dann doch vermuten, dass es bei der hier formulierten Kritik mehr um Projektionen statt um politische Kritik und Analyse gehen könnte. Nachdem auch mir allerdings regelmäßig auffällt, dass linke israelische Protestbewegungen ausgeblendet werden, verweise ich gerne auf ein etwas längeres Interview im linken Kunstmagazin “Hyperallergic”, das meine/unsere Sichtweise auf die Arbeit linker Gruppen innerhalb Israels und deren verzerrte Wahrnehmung außerhalb des Landes widerspiegelt: http://hyperallergic.com/208493/critics-of-the-cultural-boycott-of-israel-make-their-case/

  2. Jana Sommeregger sagt:

    Danke für Ihren Kommentar. Erlauben Sie uns lediglich die Richtigstellung, dass nicht, wie Sie schreiben, der IM-Blog eine BDS-Quelle falsch zitiert, sondern es sich um ein Interview mit der Soziologin Julia Edthofer handelt, die sich mit dem Thema wissenschaftlich seit vielen Jahren auseinandersetzt.

  3. MaFred16 sagt:

    Sieht man sich die BDS-Webseiten (https://bdsmovement.net/what-is-bds) oder täglichen Twitter-Nachrichten an, so merkt man, daß imblog unrichtig zitiert und BDS unrichtig beschreibt. BDS bekämpft v.a. israelischen Rassismus und israelische Apartheid, sowie die Ungleichbehandlung von Juden und Nichtjuden.

    Was an BDS “zu kritisieren ist” wird beschrieben, aber nicht, was an BDS “gut ist”. Somit hängt die Beurteilung wohl nur von der urteilenden Person, aber nicht von BDS ab. Leute, die BDS nicht mögen, finden nur, was zu bemeckern ist.

    Unerwähnt bleibt auch hier, daß große und wichtige Menschenrechtsorganisation und auch Judenverbände (v.a. die liberalen Juden als Nichtzionisten) BDS voll unterstützen. Man sollte das schon erwähnen, daß IJAN, APN, PeaceNow, http://www.jvp.org für die Ziele von BDS eintreten und gegen permanentes Verletzen der Genfer Konvention, UN-Charta und Menschrechtskonvention.

Schreibe einen Kommentar