An jedem verdammten Sonntag

Foto eines Fernsehers mit Tatort in der ORF-Mediathek

Tatort in der ORF-Mediathek. Foto: Petra Permesser

In diesem Text geht es nicht um American Football, sondern um eine andere Sonntagstradition. Um 20.15 Uhr beginnt fast wöchentlich eine neue Folge “Tatort” und damit auch die  Diskussion auf der dazugehörigen Facebook-Seite. Für die nächste  Erstausstrahlung aus Köln erwarte ich auf Facebook etwas Kritik für den schlechten Ton und vor allem Lob für das “typisch deutsche” Thema.

Was ist mit “typisch deutsch” hier gemeint?

Bei den Kommentaren zu “Schock” (Tatort aus Wien, Erstausstrahlung: 22. Jan. 2017) wird deutlich, warum diese Folge bei der Facebook-Community positiv abgeschnitten hat:

“Ich freue mich auf das Duo aus Wien finde ich immer wieder gut, vor allem die Bibi, großartig und das positive ist schonmal das es Heute mal nicht um Flüchtlinge geht, also allen viel Spaß beim Tatort gucken” – Facebook-Kommentar von Juan Luis Basile mit 140 Likes

“Eisner und Fellner sind – entgegen der Deutschen Ermittler – nicht Dumm-Weichgespült, haben eine eigene Meinung und kommen prima ohne Flüchtlinge und Nazis aus.
Österreich hat euch – zu Recht – überholt, liebe deutsche Gutmenschen Autoren.” – Facebook-Kommentar von Daniel Kasper mit 55 Likes

“Bibi und Moritz, die Garanten für einen spannenden Tatort, auch ohne Flüchtlinge.
Aaron Karl, den Namen sollten wir uns merken. Gut wie schon sein Vater Fritz.
Ich genieße heute den Tatort, was nicht jeden Sonntag Abend der Fall ist !” – Facebook-Kommentar von Michel Langelo mit 188 Likes

Natürlich schlagen nicht alle Kommentare zu “Schock” in diese Kerbe. Sieht man sich aber auch die Kommentare zu “Wacht am Rhein” (Tatort aus Köln, Erstausstrahlung: 15. Jan. 2017) oder “Land in dieser Zeit” (Tatort aus Frankfurt, Erstausstrahlung: 8. Jan. 2017) wird die Tendenz deutlich.

Welche Funktion erfüllt der “Tatort” jeden Sonntag?

Es stellt sich die Frage, was User_innen zu ihren Meinungen bewegt. Sie fordern vom “Tatort” Eskapismus. Dies scheint dem Anspruch der Sendungmacher_innen diametral entgegenzustehen. So griff nämlich die anschließende Diskussionssendung mit Anne Will im ARD das jeweilige “Tatort”-Thema in den letzten Monaten regelmäßig auf. Statt eskapistisch kann “die Krimireihe als ‘Seismograph’ deutscher Befindlichkeiten und Mentalitäten, als Beobachter der Gesellschaft insgesamt” wahrgenommen werden, wie Dennis Gräf in seinem Buch über den “Tatort” 2010 festhält.

2011 veröffentlichte Anna-Caterina Walk ein Buch, in dem sie “Das Andere im Tatort. Migration und Integration im Fernsehkrimi” untersucht. Vor dem Hintergrund der Cultural Studies führt sie eine Medienanalyse von drei Folgen durch und hält im Klappentext fest, “dass das Andere in der Krimi-Reihe nicht nur als bloße Wiedergabe von Stereotypen konstruiert wird. Trotzdem könnten die Drehbücher dieses Phänomen differenzierter berücksichten. Die Krimireihe Tatort könnte ihre Potentiale noch differenzierter berücksichtigen.”

Versteht man den Tatort wie Walk und Gräf also als “Schule der Nation” wird auch deutlich, warum Folgen wie “Wacht am Rhein” oder “Land in dieser Zeit” derart negative Reaktionen auf Facebook und auch in der Rangliste von tatort-fundus.de auslösen. Sie treffen ins Herz der Mehrheitsbürger_innen. Ihre Handlungen folgen keiner rechtspopulistischen Programmatik. Stattdessen sind die Täter_innen in der Mehrheitsgesellschaft zu finden. Es ist auf mehr solche Folgen zu hoffen, denn steter Tropfen höhlt den Stein und schmälert das rassistische Stereotyp von kriminellen Migrant_innen und Geflüchteten.

2 Antworten

  1. Petra Permesser sagt:

    In einem wissenschaftlichen Diskurs würde ich dir hier auf jeden Fall recht geben. Die Frage ist halt immer, wie man “allgemeinüblich” definiert. Ich bin auch lang davon ausgegangen, dass es so ist und erst durch die Facebook-Kommentare daraufgekommen, dass das nur einer von vielen Blickwinkeln auf die Funktion des Tatorts ist.

  2. Aki sagt:

    Vielleicht überschätze ich diesen Aspekt, aber ich dachte immer es wäre allgemeinüblich, den Tatort als Spiegel der deutschen Befindlichkeit und “Schule der Nation” zu sehen. Jedenfalls mache ich das, spätestens seit ich dort lebe. Und seitdem fange ich auch an, den Wiener Tatort mehr und mehr zu schätzen. Man mag es kaum glauben, aber mit Deutschland als Kontrastfolie geht wiener Grant fast schon als wiener Schmäh durch.

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