Zehn Jahre war Zeit, die Barrierefreiheit von öffentlichen Gebäuden und Geschäften, im Personenverkehr und der Gastronomie zu gewährleisten. Das schreibt eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2005 vor. Barrierefreiheit kommt nicht nur den zehn bis fünfzehn Prozent behinderten Menschen, sondern auch alten und gebrechlichen Menschen, Müttern und Vätern mit Kinderwägen und temporär behinderten Menschen zugute. Barrierefreiheit heißt Komfort für alle. Die Herstellung einer zugänglichen Umwelt löst darüber hinaus Aufträge für die Bauwirtschaft aus, schafft und sichert heimische Arbeitsplätze. Das Geld ist also doppelt gut angelegt.
Durch meine Arbeit an der New York University konnte ich in den Jahren 1986 bis 1997 die Einführung und Umsetzung des „Americans with Disabilities Act“– dem weltweiten Vorbild für alle Anti-Diskriminierungsgesetze – als Betroffener erleben. Wer bei Neubauten und umfassenden Sanierungen auf Barrierefreiheit „vergißt“, zahlt eine spürbare Strafe und wird aufgefordert, den gesetzeskonformen Zustand in einer kurzen Frist herzustellen. Wenn das Unternehmen weiter säumig ist, droht eine saftige Strafe von mehreren tausend Dollar, wenn dann noch immer nichts passiert, wird der Laden geschlossen – und sei es ein Restaurant im Eigentum von Clint Eastwood (der Fall ging durch die Weltpresse). Weil das Gesetz keine Verzögerungen, Ausflüchte und andere Tricksereien erlaubt, kam es in den USA binnen weniger Jahre zu einer Revolutionierung der gebauten Umwelt. Eine Klagsflut blieb aus, „it´s the law“ sagen die freiheitsliebenden Amerikaner, da hilft kein Herumdeuteln.
Ich habe das Gesetz im Vorjahr wieder in New York getestet. Die Unterschiede zu Österreich könnten größer nicht sein. Menschen mit Behinderung können sich in dieser Stadt ohne Einschränkungen bewegen.
In Österreich ist das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich ein Ungetüm. Es sieht nämlich keine direkte Klagsmöglichkeit vor, allenfalls ist die gerichtliche Feststellung einer Diskriminierung möglich, mit der Pönale kann man fünf Mal ins Kino gehen. Das alles verblaßt aber neben dem Prunkstück des Gesetzes: neu errichtete (Fischhändler Nordsee, McDonalds) und unsanierte Barrieren (Parkhotel Pörtschach, Moser Verdino Klagenfurt) müssen selbst bei einer Verurteilung in der Folge einer gescheiterten Schlichtung NICHT beseitigt werden. Man kann in Österreich Barrierefreiheit auf dem Klagsweg NICHT durchsetzen. So weit, so beschämend. Widerlich wird es, wenn man hinzufügt, daß der Bund seine Frist bis zum Jahr 2020 erstreckte und die Stadt Wien ihre Frist gar bis ins Jahr 2042 ausdehnte.
Barrierefreiheit wird in Österreich auch in dreißig Jahren eher die Ausnahme als die Regel sein.
Dr. Erwin Riess, Schriftsteller („Groll-Romane“, Theaterstücke) und Aktivist der autonomen Behindertenbewegung. Rollstuhlfahrer seit 1980, Lehraufträge und Lesereisen im In- und Ausland
Sollte es eine Petition zu diesen traurigen Tatsachen geben, werde ich und Freunde von uns, uns gerne daran beteiligen.
Lg Christina gaier