Buchstabieren oder Von der Kunst der Gemeinheit

Es gibt Dinge, die so nerven, dass sie schon strukturell sind. Oder gerade deswegen nerven sie. Das ist ein bisschen wie der Unterschied zwischen dem Rassismus der Leute und dem strukturellen Rassismus.

Rassismus der Leute hat oft mit schlechter Erziehung zu tun, viel mit Willen zur Herrschaft, dem Wunsch nach Durchsetzung eigener Interessen, gelegentlich mit Bildungsferne, wie man sagt, und der schädlichen Weltanschauung der Leute. Nicht ganz dieser Art ist der strukturelle Rassismus; der geht nämlich so: Es gibt Gesetze, tradierte Denkweisen, Einrichtungen wie die Fremdenpolizei, sprachliche Gewohnheiten (das N-Wort, das Z-Wort, das A-Wort sowie Stehsätze wie: „Denen muss man das Kondom erklären, sonst werden wir umgevolkt“) und Selbstverständlichkeiten, die just vor lauter Selbstverstehen die restliche Welt ausblenden: unsere Menschenrechte, unsere Werte, unsere Grenzen (deren Grenzen zählen nicht, denn die fallen wiederum unter unsere Reisefreiheit). Einfacher ausgedrückt: verknöcherte Gemeinheit, nicht immer beabsichtigt, aber bequem für die einen und eben gemein für die anderen.

Auf diese Weise strukturell nervig ist zum Beispiel das Buchstabieren am Telefon. “Können Sie mir den Namen bitte buchstabieren, ich verstehe ihn nicht!” Freilich nicht irgendwie, sondern nach einem Alphabet aus Buchstabiernamen (ÖNORM A 1081). Ich weiß nicht, ob einige Personen einer Sprachkommission hohe Bestechungssummen gezahlt haben, damit ihre Namen beim Buchstabieren verwendet werden und sie einen Hauch von Unsterblichkeit verspüren können. Buchstabieren am Telefon ist jedenfalls eine Kunst, Kunst der Gemeinheit.

Bei mir klingt das wie folgt: Heinrich, Anton, Konrad, Anton, Nordpol sowie Gustav, Übel (ist mir aber wirklich!), Richard, Siegfried (höre schon die blechernen Bläser Wagners), Emil, Siegfried (wieder bayreuthische Akkorde). Ich muss ganze neun deutsche Namen aufzählen, um einen türkischen Vor- und Familiennamen verständlich zu machen. Nu, Rassismus ist das gewiss nicht, aber eine fette Gemeinheit und schon sehr strukturell. Jedenfalls nervig.

Aber schreib einmal ein George ohne e am Ende – „Das schreibt man mit einem E am Ende, bitte, das ist englisch!“ würde es flugs aus jedem Wiener Munde ertönen, der sich in der Gegend befindet. Alle Menschen hier scheinen zu wissen, wie man englische, französische, italienische („Andrea ist im Italienischen männlich, weißt eh!“) und sogar spanische Namen („Olé José!“) richtig schreibt und ausspricht. Aber bei einer ganz gewöhnlichen türkischen Namenkombination wie meiner (es gibt etwa 100 Hakan Gürses’ auf Facebook) muss man eben eine ganze Legion deutscher Namen zu Hilfe nehmen. Und im Fernsehen heißt der Typ immer noch Erdogan und nicht – wie es die richtige Aussprache verlangt – Erdo’an: der Buchstabe ğ wird im Türkischen nämlich so ausgesprochen. Aber wen kümmert’s – Erdogan hin, Erdogan her! Leben in Österreich etwa mehr Spanier_innen und mehr Französischsprachige als „Türkeistämmige“? (Wie ich übrigens dieses Wort liebe – da muss ich ständig an stämmige Türkinnen und Türken denken, Opfer schlechter Ernährung, du Opfa!)

Apropos Erdo’an, der mir sonst eh gestohlen bleiben kann: Er ist jetzt, nach den Wahlen, auch von Rechts wegen der große Präsidial-Cheffe in dem Land, das man einst nicht in den Club Europa aufnehmen wollte. Jetzt zahlt ihm der Club seinerseits einen enorm hohen Mitgliedsbeitrag dafür, dass es Geschundene und Geflüchtete von einem ungewollten Aufenthalt bei den Clubmitgliedern abhält. Kapisce? („Das ist italienisch bitte, man schreibt es mit c am Anfang!“)

Bundeskanzler Kurz wiederum (Sebastian heißt die …), der selbsternannte Brückenbauer auf der verregneten Schafalm, nimmt nach dem Beschluss beim letzten großen EU-Gipfel erwartungsgemäß alle Blumen der Welt für sich in Anspruch. Denn er sieht seinen Plan eines „Außenlagers“ im nämlichen Beschluss als verwirklicht an.

Mir ist es egal, wer die buntesten Blumen für die größte Gemeinheit bekommt, wenn ich ehrlich bin. Für mich Ex-Türken mit neun deutschen Buchstabiernamen gibt es eine große Preisrätselfrage: Was um Himmels willen habe ich falsch gemacht, dass überall dort, wo ich lebe, Gemeinheit an der Regierung sein muss?

Daneben gibt es indes ein weiteres Phänomen, dessen Gründe sich mir nicht erschließen wollen: Weit über die Hälfte der Österreicher_innen sind mit den Taten der ÖVP-FPÖ-Regierung zufrieden. Wie ist das denn möglich? Warum fällt es niemandem auf, dass die türkisblaue Ankündigungsmaschine nur Stimmung macht? Wöchentlich etwas (ein Gesetz, einen Erlass, eine Regulierung, ein Vorhaben …) ankündigen, ohne an dessen Realisierbarkeit, juridische Kompatibilität oder politische Sinnhaftigkeit auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Hauptsache, es ist gegen das Bestehende oder gegen das, was die letzte Regierung eingeführt hatte, oder gegen den Sozialstaat … Es ertönen die Fanfaren; in engen Anzügen, in die der Vize mittlerweile gar nicht mehr hineinpasst, oder auf dem Gesäß eines rassigen ExekutivePferdes in spe posierend (apropos, ihr Fell muss braun oder schwarz sein, also in Koalitionsfarben gehalten!) wird das Blaue vom türkisen Himmel versprochen, ein medialer Mulatschak folgt, dann ist Ruhe – bis die Slim-fit-Regierung die nächste Ankündigung auslässt.

Was in medialer Stille geschieht und darum auch den Mit-der-Regierung-Zufriedenen nicht mehr auffällt, ist, dass das groß angekündigte Vorhaben inzwischen fallen gelassen wurde – aus rechtlichen oder Machbarkeitsgründen. Aber warum fällt das mehr als der Hälfte meiner Landsleute nicht auf? (Rhetorische Frage, die Gründe sind offensichtlich.)

Der Brückenbauerkurz hat übrigens in den letzten Jahren die Gepflogenheit entwickelt, jeden Satz wie das Ceterum censeo mit der Ansage zu beenden, der Möglich-eventuell-vielleicht-Flüchtlingssturm solle gestoppt werden, für die Sicherheit Europas. Cato brachte es damit seinerzeit zu den Punischen Kriegen, na supertoll, aber ich frage: Was haben wir davon? Wem hat die Zerstörung Karthagos genützt außer dem Blutdürstigen selbst? Wie viele können heute überhaupt Karthago fehlerfrei buchstabieren? Aber Rom ist in aller Munde (“Rom ist bitte italienisch, und alle Wege führen …”). Das ist furchtbar nervig, das sage ich Euch, so wahr ich hier stehe und Heinrichantonkonradantonnordpol Gustavübelrichardsiegfriedemilsiegfried heiße!

Eine Antwort

  1. Petra sagt:

    Spannend finde ich auch den Wandel bei den Buchstabieralphabeten. Siegfried und Nordpol gibt’s z.B. erst seit 1934 in den deutschsprachigen Buchstabieralphabeten. Vorher waren die beiden Buchstaben durch Samuel und Nathan repräsentiert. Zeigt einmal mehr, wie sich nicht nur der natürlich Wandel der Sprache, sondern auch der politische Einfluss niederschlägt.

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