I like #3 Ein Preis für mehr Gerechtigkeit

Ursula Hemetek Wittgenstein-Preisträgerin 2018 © APA (OTS/mdw/Doris Piller)

Wer hätte es für wahrscheinlich gehalten, dass der Wittgenstein-Preis 2018 an eine Musikwissenschaftlerin geht – noch dazu an eine Minderheitenforscherin? Und zwar in einer Zeit, in der Rechtspopulismus, Fremdenhass und Sexismus immer mehr in der Öffentlichkeit Fuß fassen?

Vorweg möchte ich Frau Ursula Hemetek meine höchste Anerkennung und Gratulation aussprechen. Sie ist für mich eine der bedeutendsten Wissenschaftlerinnen meines Faches. Ich lernte sie vor einigen Jahren persönlich am Institut für Musikwissenschaften der Universität Wien im Rahmen eines Seminars zu “Musik der Roma” kennen. Sie war bitterernst bei der Sache: Es wurde nicht gescherzt, es wurde hart gearbeitet. Sie vermittelte uns Wissen über Geschichte, Musik und Kultur der Roma, wobei auch politische sowie gesellschaftsrelevante Themen wie Antiziganismus und Völkermord stets mitgedacht wurden. Sie selbst bezeichnete ihre Herangehensweise als intervenierende Wissenschaft. Wir lernten Volksgruppenangehörige persönlich kennen, hörten ihre Biografien, ihre Lieder. Oft brauchte es keine Worte, um die Bedeutung der Musik zu begreifen, um zu lachen, zu weinen, zu verstummen und um mitzumusizieren.

Doch zurück zum wissenschaftlichen Aspekt: Was ist eigentlich ethnomusikologische Forschungsarbeit? Woher kommt sie und wem nützt sie?

Die einst vom deutschen Kolonialismus geprägte „vergleichende Musikwissenschaft“ wurde vor gut hundert Jahren mit der Motivation gegründet, „fremde“, gar „primitive“ Musikkulturen stets in Opposition zur „zivilisierten“ und „hoch entwickelten“ europäischen Kunstmusik zu betrachten. Musikwissenschaftler reisten um die Welt und transkribierten, analysierten, archivierten und konservierten Musik – vor allem jene außereuropäischer Kulturen. Auch heute liegt der Forschungsschwerpunkt des Faches Ethnomusikologie global betrachtet verstärkt in der Erforschung außereuropäischer Musikkulturen. Das Institut für Volksmusikforschung an der mdw wurde erst in den 1960er Jahren gegründet.

Der Sinn und Zweck gegenwärtiger ethnomusikologischer Forschung liegt erst bei näherer Betrachtung auf der Hand: Musik ist ein wichtiger Teil jeder Kultur, wirkt identitätsstiftend, transportiert Werte, Historien und Gefühle. Die Vielfalt musikalischer Stile gehört geschützt, sie muss bewahrt und weitergegeben werden. Nimmt man einer Volksgruppe ihre Musik, so beraubt man sie ihrer Identität, vernichtet ihren individuellen Ausdruck und es kommt zur kulturellen Assimilation. Aus ähnlichen Gründen sind in Österreich auch sechs Sprachen autochthoner Minderheiten offiziell anerkannte und erhalten Förderungen.

Ursula Hemetek hat sich als erste österreichische Wissenschaftlerin auf die Musik von Minderheiten spezialisiert. Musik war dabei nicht nur Selbstzweck im Sinne vom geisteswissenschaftlichen „Raison d’être – l’art pour l’art“, sondern auch Mittel zum Zweck: Mithilfe der wissenschaftlichen Dokumentation von Romamusik konnte offiziell bewiesen werden, dass die seit Jahrhunderten diskriminierte Minderheit tatsächlich über ihr eigenes schützenswertes kulturelles Erbe verfügt. Dies führte 1993 dazu, dass Burgenlandroma, Sinti und Lovara endlich als autochthone Volksgruppen anerkannt wurden.

Was Ursula Hemetek damit geleistet hat, ist wahrlich bemerkenswert und inspiriert viele NachwuchswissenschaftlerInnen. Auch ich persönlich habe mich von Hemeteks Minderheitenforschung anregen lassen und veröffentlichte vor zwei Jahren die erste Studie zu Antiziganismus in der österreichischen Medienlandschaft. Die Ergebnisse waren erschreckend.

Faktum ist, dass noch weitergeforscht und weitergekämpft werden muss. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit, mehr interkulturellen Dialog, müssen einander mehr Respekt schenken. Die Verleihung des Wittgensteinpreises an Ursula Hemetek für ihre Minderheitenforschung bedeutet zum einen finanzielle Unterstützung für weitere Errungenschaften, zum anderen ist der Preis aber auch ein Symbol für Gerechtigkeit!

I like #3 Ein Preis für mehr Gerechtigkeit: Ein persönlicher Essay von Raffaela Gmeiner

Wittgenstein-Preis

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