Dreifaches Jubiläum

Diese Krankheit greift / Das Herzblut unsers Unternehmens an!

So weit Shakespeare zum Thema Infektion (Triggerwarnung: Zitat eines seeehr alten weißen Mannes). Wie recht er wieder einmal hatte: Diese Pandemie infiziert das Herzblut unseres Unternehmens. In der Tat. Hier und heute!

2020 hätte ein offizielles Supergedenkjahr werden sollen (unter anderem: 100 Jahre Bundesverfassung, 75 Jahre Befreiung vom Nazi-Regime, 65 Jahre Staatsvertrag, 25 Jahre EU-Beitritt Österreichs), mit groß angelegten Veranstaltungen und so Sachen. Die Pandemie machte allen Plänen indes den Garaus. Ein paar Sonntagsreden im Nationalrat, ein paar Kurzmeldungen in den Zeitungen, und der Zug fuhr ab. Da hat ja schon die jüngst im Parlament abgehaltene Gebetsstunde mehr Interesse erheischt als sämtliche Aktivitäten hoher Politik zu den vier Gedenktagen. Gut, dies ist wohl nicht allein der Pandemie anzukreiden, das wiederum wäre Thema eines anderen Blogbeitrags.

Worum es mir hier geht, ist die Hoffnung, das junge 2021 möge mit Jahrestagen anders verfahren als sein vermaledeiter Vorgänger. Denn wir wollen ja auch mehrfach feiern heuer, fürchten uns aber vor der Gefahr, dass this sickness doth infect the very lifeblood of our enterprise, wie der Onkel Willy im Original gesagt hat.

Wie Sie wohl bemerken, besteht einer der Vorzüge des vorliegenden Blogs darin, dass man hier in jeder Sprache Gottes William Shakespeare zitieren kann, Stück oder Sonett, ohne dafür Tadel zu ernten oder gecancelt zu werden (freilich, wenn vorher Triggerwarnung und alles). Somit bin ich auch beim ersten Feiergrund.

Vor fast auf den Tag genau fünf Jahren entstand dieser Weblog. Am 20. Jänner 2016 durfte ich höchstpersönlich das geschätzte Publikum mit folgenden Sätzen in unsere geheimen Pläne einweihen (Triggerwarnung: Eigenzitat eines ziemlich alten und nach 40 Jahren Ö-Aufenthalt mit M-Hintergrund fast weißen Mannes):

Bei unserem guten Vorsatz handelt es sich um möglichst regelmäßige, manchmal Politikkonjunktur bedingte Wortmeldungen, manchmal aber ob der Müdigkeit gerade angesichts dieser Konjunktur eskapistisch anmutende Ausführungen eines Autor_innen-Kollektivs, das im Umfeld der (in Österreich ansässigen) Organisation Initiative Minderheiten zu suchen ist: Leute, die mit dieser NGO zu tun haben oder sie jedenfalls für wichtig halten oder zumindest nicht für schädlich.

Was ist das für 1 Freude! Ein minoritäres Medienprojekt in einem gar etwas verstaubten Format (hallo, es ist ein Weblog!) wird fünf. Schon am ersten Jahrestag war ich (i bims schon wieder!) überschwänglich, wenn auch der angsttriefende Selbstzweifel des Berufsskeptikers zwischen meinen Zeilen zu vernehmen ist (Triggerwarnung: sehr langes Eigenzitat eines durchweg alten und nach 40 Jahren Ö-Aufenthalt mit M-Hintergrund fast weißen Mannes mit Verdacht auf Mansplaining):

Wir haben hier über Dinge geschrieben, von denen wir wirklich eine Ahnung haben […]. Wir haben des Weiteren Leute zu Wort kommen lassen, die wirklich etwas davon verstehen, was sie reden oder schreiben. Wir haben so weit auch versucht, zur richtigen Zeit das Wichtige zu sagen, zumal in unserem „Bereich“.

Mit Worten wurde dabei nicht gespart, mit Alleswisserei aber schon. Was haben wir alles thematisiert: Mode & Politik, Mehrsprachigkeit, Kölner Silvesternacht, Behinderung & Sexualität, Flucht & Asyl, Bundespräsidentenwahl, Shoah, Homophobie, jugoslawische Gastarbeiter_innen, Bilderbücher, mediale Sprache, Wege der Geflüchteten, Bettelverbote, „Generation Migration“, Barrierefreiheit, Hasspostings, Rechtsextremismus, BDS; Kunst & Kultur mit minoritärem Bezug; das Ganze auch von Gastautor_innen unterbreitet. Es sind lauter Themen, die irgendwie miteinander zu tun haben. Beiträge, die noch Inhalt und Sinn vorweisen können. Autor_innen, die immer noch auf das Politische pochen, das zur umfassenden Gleichheit, Freiheit und globaler Gerechtigkeit führen mag. Der IM BLOG (manche sagen auch das Blog) ist allmählich zu einer Herberge geworden für Sätze, die sich im hippen und schicken Diskurs der Design-Medienwelt nicht mehr aufhalten dürfen. Das ist Willkommenskultur vom Feinsten!

Gut, das haben wir wirklich auch in den darauffolgenden vier Jahren getan. Freilich gesellte sich eine gewisse Müdigkeit dazu – es ist nicht einfach für eine Gruppe, Woche für Woche einen neuen Beitrag mit Essenz zu verfassen und dabei die Einsamkeit dieses Mediums spüren zu müssen, wenn die wichtigsten Kommentare zu den Beiträgen aus Erbschaftsangeboten verwitweter Personen bestehen. Aber wir machen weiter, munter oder schläfrig, wir machen weiter! Denn wir glauben noch immer an die Bedeutung einer minoritären Allianz, um Diskriminierungen Einhalt zu gebieten.

Damit bin ich schon beim zweiten Grund zur jahresumfassenden Feier: Heuer wird die Initiative Minderheiten, unsere Bezugsorganisation, 30. Dreißig! Das ist zwar noch kein bisschen biblisch, aber ganz schön herzeigbares Alter! Als ich noch 19 war, kann ich mich erinnern, sagte ich zu einem Freund über einen anderen: „Ach, der! Der ist schon alt, er ist 30!“

Sie werden in unserem Blog, auf der Webseite der Initiative Minderheiten, in der vierteljährlichen Zeitschrift Stimme sowie auf Radio Stimme einiges über dieses Jubiläum lesen, hören und sehen. Darum will ich hier nicht viel vorwegnehmen, sondern nur eine Erinnerung mit Ihnen teilen, die allerdings nicht ganz 30 Jahre zurückreicht (Triggerwarnung: wahrscheinlich furchtbar langweilige Anekdote eines ziiiiemlich alten, obwohl nicht ganz so weißen Mannes).

Es war ein kalter, aber sonniger Wintertag (wieder fast schon auf den Tag genau vor 28 Jahren, am 23. Jänner 1993). Ich hatte ein Vorstellungsgespräch zu absolvieren, vor dem Vorstand einer NGO, die sich damals noch „Initiative Minderheitenjahr“ nannte und eine Zeitschrift namens „Stimme von und für Minderheiten“ herausgab. Dieses Zentralorgan war – wie leider oft bei Redaktionskollektiven mit kaum Budget – nach vier Ausgaben etwas verwaist, und die Organisation suchte nach einem netten Menschen, der das Ganze zum neuen Leben erwecken und währenddessen nach Finanzierungsquellen suchen sollte. Schließlich bin ich dieser nette Mensch geworden (Kunststück, wir waren eh nur zwei Kandidaten!). Und auch die Stimme, die Zeitschrift der Initiative Minderheiten, wird heuer 30. Also das dritte Jubiläum des Jahres!

Aber jener freudige Tag, der den Beginn einer 15 Jahre währen werdenden Freundschaft zwischen der Stimme und mir markierte (welche ich darüber hinaus seit 2008 als Autor der Zeitschrift weiter pflege), ist unauflöslich mit einer anderen Erinnerung verknüpft. Es war der Tag des sogenannten Lichtermeeres, der großen Demonstration gegen (wie es damals hieß) Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz. Nach meinem Vorstellungsgespräch lief ich dorthin, nahm an der Demonstration teil neben 300.000 anderen Leuten. Es handelte sich um den symbolischen Beginn einer Ära in Österreich, die wohl noch nicht abgeschlossen ist. Mit verschiedenen Akteur_innen und Figuren auf beiden Seiten, mit unterschiedlichen Schlüsselbegriffen und abwechselnden Aktionsformen findet diese gesellschaftspolitische Konfrontation bis heute in aller Härte statt. Oft verläuft sie unsichtbar, subkutan, in den stillen Kapillaren der Gesellschaft. Manchmal bahnt sie sich jedoch einen Weg zur Oberfläche, und am Ort des Durchbruchs werden die Fronten manifest.

Die Initiative Minderheiten nimmt an dieser Konfrontation seit 30 Jahren beständig teil. Ihre Art ist weniger von verbalradikalem Getöse geprägt als vielmehr von einer kompetenten (und mühsamen) Suche nach den Fäden, welche die Vielen miteinander verbinden – gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie, Behindertenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiziganismus und weitere Formen von Diskriminierung und Unterdrückung. Und die Stimme und der IM BLOG verstehen sich als Teil dieser Suche.

(Triggerwarnung: sentimentales Schlusswort eines nun wirklich alten, allerdings nicht unbedingt weißen Mannes!) Ich hoffe, wie gesagt, dass die Pandemie nicht das Herzblut unseres Unternehmens angreift und wir das Jubiläumsjahr gebührend begehen können! Und ich wünsche allen drei Jubilar_innen, der Initiative Minderheiten, dem IM BLOG sowie der Zeitschrift Stimme, also schließlich uns, viele weitere Jubiläumsjahre – mit jungen wie alten Mitstreiter_innen in allen Farben!

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