Verbunden mit der Initiative Minderheiten: Hikmet Kayahan ehemaliger Mitarbeiter der IM und der STIMME

Anlässlich unseres 30-jährigen Bestehens haben wir Weggefährt*innen der Initiative Minderheiten einige Fragen gestellt. Den Anfang macht Hikmet Kayahan, ehemaliger Mitarbeiter der Initiative Minderheiten und der STIMME-Redaktion.

September 1991

Was hat dich rund um das Jahr 1991 politisch bewegt?

Interessanterweise waren es zwei Plakate, beide aus dem Jahr 1991, die mich und meine Arbeit seitdem in der einen oder anderen Form begleiten: Zum einen das Plakat „Sag noch einmal Tschusch!“ von Patricio Handl. Zum anderen „Wien darf nicht Chicago werden“, das Wahlplakat der FPÖ für die Wiener Gemeinderatswahlen im November 1991. Während das eine Plakat eine klare antirassistische Botschaft kommuniziert, steht das andere für all die Menschenverachtung und den Rassismus. Das eine versucht, Menschen zusammenzuführen, das andere zu trennen. Seit damals hat sich nicht viel verändert – außer: 1991 gab es noch keine Memes, kein facebook oder Telegram. Und wir hätten es nie für möglich gehalten, dass eines Tages eine offen rassistische Partei in der Regierung sitzen könnte.

Wer hat dich politisch am meisten geprägt?

Natürlich könnte ich jetzt was von Kant, Voltaire, der französischen Revolution schreiben. Oder die Geschwister Scholl, Martin Luther King, Nelson Mandela erwähnen. Aber „Im Grunde genommen sind es doch die Verbindungen mit Menschen, welche dem Leben seinen Wert geben“, sagte Wilhelm von Humboldt. Das heißt, persönliche Begegnungen mit Menschen haben meinen Weg viel mehr geprägt als Bücher oder Theorien. In der Schulzeit war es meine Deutschlehrerin, die mir einen neuen, anderen Zugang zu Ich und Wir gab. In der Studienzeit ein wichtiger Freund, der mich lehrte an den Oberflächen zu kratzen und zu hinterfragen. In den 1990er Jahren war es dann auch Hakan Gürses, der langjährige Chefredakteur der STIMME, mit dem ich viele Jahre zusammenarbeiten durfte; von ihm lernte ich, dass Fäuste ballen und widerständische Slogans skandieren nicht ausreichend sind, dass Antirassismus und Antifaschismus auch eine solide, fundierte Basis brauchen, damit sich etwas bewegt.

Welche sind für dich die wichtigsten (minderheiten-)politischen Errungenschaften der vergangenen 30 Jahre?

Oft habe ich das Gefühl, dass sich in den letzten 30 Jahren nicht wirklich was verändert hat. Wir diskutieren noch immer die gleichen Themen, die Forderungen sind dieselben wie damals. Noch immer müssen wir auf die Straße und demonstrieren, weil Kinder deportiert werden. In Kärnten werden noch immer zweisprachige Ortstafeln beschmiert oder zerstört. Der Alltagsrassismus hat sich nicht still und leise, sondern laut und polternd in die Mitte der Gesellschaft gesetzt. Aber wenn wir genauer hinsehen, können wir die leisen Zwischentöne hören und erkennen, dass gerade die Bemühungen im Bereich der Bildung, dass Dranbleiben sich ausgezahlt haben: Vor 30 Jahren hätte ich keinen einzigen Ali oder Dragan als Lehrer in einer Schule finden können. Vor 30 Jahren hätten wir eine Zadić als Juristin mit der Lupe suchen müssen – heute ist eine Zadić Ministerin. Wir haben Nurtens und Alevs ins Parlament gebracht. Unzählige Kinder der sogenannten Zweiten Generation haben ihren Platz in der Gesellschaft eingenommen, sind Busfahrer*innen, Lehrer*innen, Polizist*innen, Journalist*innen. Wir sind einer transkulturellen Normalität etwas näher gerückt. Die „Gastarbeiter“ von damals haben ihre eigenen Stimmen gefunden und haben auch die Ressourcen, sie einzusetzen. Auch wenn es noch viel zu tun gibt: Das macht Hoffnung und Lust auf die nächsten 30 Jahre.

Was beschäftigt dich heute?

Um es salopp zu sagen: Die Dummheit der Menschen! Mit meinen grauen Haaren überlasse ich das Fäuste ballen nun lieber den jüngeren, was mich mehr beschäftigt, sind die Gründe, warum Menschen dem Hass auf den Leim gehen; warum Rassismus und Faschismus scheinbar noch immer einen fatalen Reiz ausüben. Und was das alles mit Armut und der westlichen Lebensweise zu tun hat. Sehr spannend sind heute auch historische Zusammenhänge für mich geworden; nicht unbedingt die großen, sondern eher die kleinen Dinge, die viel über damals und heute aussagen. Alle kennen Mary Vetsera, kaum wer weiß aber, dass sie eine Enkelin von Theodor Baltazzi war, einem Griechen aus Izmir, der es in Istanbul zu Reichtum gebracht hatte und dann mit seiner Familie nach Wien auswanderte. Die Welt war schon immer multikulturell, auch wenn manche Ewiggestrige es nicht wahrhaben wollen.

Was charakterisiert für dich die Initiative Minderheiten? Was möchtest du uns zum Geburtstag mitgeben?

Für mich war und ist der Ansatz der Initiative Minderheiten – die „Minoritäre Allianz“ – prägend. Ein altes türkisches Sprichwort sagt: „Eine Hand hat nichts, zwei Hände haben eine Stimme“. Nur wenn unterschiedliche diskriminierte, ausgegrenzte Gruppen erkennen, dass sie im selben Boot sitzen und nur wenn sie gemeinsam eine progressive, verändernde Kraft entwickeln, wird die Gesellschaft zu einem gemeinsamen Wir. Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Homophobie, Sexismus … Alle haben miteinander zu tun. Dies zu erkennen macht uns gemeinsam stärker, um uns denen, die von Hass profitieren, in den Weg zu stellen.

Der Initiative Minderheiten wünsche ich zum Geburtstag, dass es sie in 30 Jahren nicht mehr brauchen wird. Aber bis dahin: Gemeinsam haben wir schon viele Regierungen kommen und gehen sehen; wir schaffen auch die noch kommenden: aufrecht und mit starker STIMME!

 

Hikmet Kayahan, Jahrgang 1966, Tscherkesse aus der Türkei mit Sozialisation in Deutschland und Lebensmittelpunkt in Österreich. Germanist und Trainer für interkulturelle Kompetenzen und Konfliktmanagement, leitet des Antirassismus Zentrum Wien. Lebt, liebt und leidet seit 1989 in Wien. Langjähriger Mitarbeiter der Initiative Minderheiten und der STIMME-Redaktion.

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