Ein letztes Bild zum Abschied

Erwin Riess ist gestorben. Er war mein Freund, mein Weggenosse. Das hier ist kein Nachruf, dazu fehlt mir die erforderliche Distanz. Dieser Text ist die schnell erzählte Geschichte einer Zeichnungsreihe, welche nun mit einem letzten Bild ihren endgültigen Abschluss findet.

Wir lernten uns 1993 kennen, als ich Erwin an seinem damaligen Arbeitsplatz im Sozialministerium aufsuchte und fragte, ob er denn für die Zeitschrift „STIMME von und für Minderheiten“ eine Kolumne schreiben wolle. Ich war gerade als Redakteur bestellt worden und war auf der Suche nach Autor*innen. Den Namen Erwin Riess hatte ich im Protokoll von der Gründungstagung der Initiative Minderheiten gelesen. Der entschiedene Ton, mit dem er seinen Standpunkt formulierte, und die bestechend klaren Argumente, die er dabei ausführte, hatten mich bei der Lektüre beeindruckt. Es war kein leichtes Unterfangen, ihn als Autor zu gewinnen, aber schließlich sagte er zu. So erreichten die satirischen Dialoge von Groll und Tritt (nach der von ihm selbst herausgegebenen Zeitschrift „der streit“) zum ersten Mal in der STIMME die Öffentlichkeit.

Allerdings fehlte Bildmaterial für den ersten Text. Verzweifelt griff ich selber zur Feder und zeichnete eine Vignette – so, wie ich mir jene beiden Figuren vorstellte, die in Erwins eigenen Worten wie folgt beschrieben waren: Groll, Berufsunfähigkeitspensionist aus Wien-Floridsdorf, und Tritt, Dozent für Soziologie aus Wien-Hietzing. Erwin mochte die Zeichnung. In den folgenden Jahren erschienen mehrere Dutzend Dialoge dieser sozial und kulturell ungleichen Kontrahenten in der STIMME, allesamt von mir bebildert.

Aus meinen Zeichnungen zu seinen Texten entstand eine Freundschaft, die uns ab dann regelmäßig zueinander führte – in der Politik der Minderheiten ebenso wie bei einem gelegentlichen Glas Wein in seinem Lieblingsheurigen in Floridsdorf. Erwin lieferte seine Dialoge ungebrochen weiter; die Bilder hörten allerdings vor etwa zehn Jahren auf, da das neue Layout der Zeitschrift eine durchlaufende Grafikschiene erforderte. Auch die seit Beginn der Nullerjahre erscheinenden Groll-Romane spielten dabei eine Rolle: In diesen Büchern bekamen die Protagonisten naturgemäß weitere Charakterzüge, und allmählich passten meine Bilder von Groll und Tritt und jene aus den Romanen in meiner Vorstellung nicht mehr zusammen. (Dafür besprach ich diese Bücher in der Zeitschrift.)

Seither war mir nie in den Sinn gekommen, dass ich wieder ein Groll-Tritt-Bild zeichnen würde. Ein allerletztes hat sich mir gestern aufgedrängt, als ich tags davor von seinem Ableben erfuhr. Diesmal musste ich eben auch den Text zum Bild selbst verfassen.

Seine Mails, Postkarten oder Buchwidmungen an mich schloss Erwin mit „Donaugrüßen“, seit seiner Kärntner Wahlwohnbürgerschaft mit „Seegrüßen“, ab. Wenn wir uns aber trafen, war sein mündliches Abschiedswort stets „Adieu“.

Lieber Freund, leider muss ich nun, nach 30 Jahren, in denen allein schon das Wissen um Deine Anwesenheit mir und vielen anderen eine Freude und Stütze war, von Dir Abschied nehmen. Und mit mir unsere gemeinsamen Freunde Groll und Tritt. Adieu, Erwin!

 

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