Ein Gespräch mit Ivana Marjanović, Co-Kuratorin der Wienwoche
Euer erstes Wienwoche Festival stand 2016 unter dem Motto “forever together”, es verstand sich als ein Fest für die “Politics of Connection, Love and Friendship”. Selbst wenn wir das als teilweise ironisch deuten, bleibt es eine sehr idealistische Form, gegen Unterdrückung und repressive Politiken zu kämpfen. Glaubst du auch heute noch an eine „Politik der Liebe“?
Natürlich war der Titel „forever together“ teilweise ironisch gemeint, aber es war eine Ironie an der Grenze zur gewollten Naivität, wir waren entschlossen eine idealistische Botschaft verbreiten. Das Thema entstand aus unserem Bedürfnis, eine positivere Atmosphäre zu schaffen und die Leute dazu zu bringen, an etwas zu glauben, was idealistisch klingt.
Wir hatten unsere Erfahrungen mit der Politik der Ausgrenzung satt, aber wir hatten es auch satt, diese Politik der Ausgrenzung unablässig zu kritisieren, ohne Utopien anzubieten. Wenn wir immer nur in der Position sind, die Dinge zu kritisieren und die herrschende Ideologie zu analysieren, wenn wir immer nur in Angst vor dieser Politik der Unterdrückung leben, hat das auch einen negativen Einfluss auf uns und unser Leben. Wir dachten, wir und die Welt um uns herum brauchen etwas anderes, die Leute, die in derselben Position sind wie wir, brauchen eine starke Botschaft der Hoffnung. Wir müssen zusammen daran arbeiten, eine Situation der Hoffnung und eine positive Atmosphäre zu schaffen. Ich denke, wir glauben immer noch an eine „Politik der Liebe“, das ist immer noch ein Motor, der uns antreibt.
Wenn ich an 2016 zurückdenke, muss ich sagen, dass es für mich persönlich vielleicht das schönste Festival war, wir waren sehr frei, es war der Anfang unserer Arbeit für die Wienwoche. Als wir am Konzept für das erste Festival arbeiteten, hatten wir noch keine Erfahrungen mit den bürokratischen Schwierigkeiten, die in den nächsten Jahren kommen sollten. Wenn man sich den Film über 2016 auf unserer Website ansieht, kann man etwas von dieser Energie spüren.
Was waren eure Erfahrungen nach dem ersten Festival und wieweit haben sie die Strukturen und Strategien für die folgenden Festivals beeinflusst?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Programm der Wienwoche wirklich aus dem Open call entsteht, es gibt wenig Raum für anderes daneben und die Zeit ist auch sehr knapp. Der Open call steht im Zentrum des Konzepts. Das ist wichtig, denn es gibt andere Festivals, bei denen ein Open call nur pro forma durchgeführt wird, aber uns geht es um einen echten Aufruf an die Leute in dieser Stadt, an Leute, die aus der ganzen Welt kommen, wirklich Teil des Festivals zu sein. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit der offenen Arbeitsgruppe gemacht. Es gehört zur Geschichte der Wienwoche, dass es nicht nur ein Festival ist, bei dem ein Expertengremium eine Auswahl trifft, sondern dass es offen für Beiträge von Menschen ist, die nicht so viele Erfahrungen oder Möglichkeiten haben, Anträge zu schreiben, die aber dennoch Teil des Festivals sein wollen. Im ersten Jahr initiierten wir zwei offene Projekte, die wir Arbeitsgruppen nannten, im darauffolgenden Jahr war es dann eine größere Gruppe, und das ist sicher etwas, das für unsere kuratorische Arbeit bestimmend ist.
Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass es nicht einfach ist, mit Leerstand-Locations zu arbeiten. Im ersten Jahr wollten wir ein Festivalzentrum an einem fantastischen Ort in der Auerspergstraße einrichten, das hat dann letztlich nicht funktioniert. Das Wiener Veranstaltungsgesetz ist wirklich sehr streng, es gibt wenig Freiheiten, die Dinge so zu lösen, wie wir es von unserer Arbeit in Ex-Jugoslawien gewöhnt waren.
Wir haben auch viel über Öffentlichkeitsarbeit und über das Schaffen von Öffentlichkeit für das Festival erfahren: Wir haben gelernt, bottom-up zu arbeiten und für jedes einzelne Projekt gemeinsam eine Öffentlichkeit zu finden und aufzubauen. Das schafft eine großartige Vielfalt von Öffentlichkeiten. Bei den Veranstaltungen der Wienwoche sieht man Leute, die man nicht im Museumsquartier treffen würde, und das macht die Wienwoche zu einem ganz speziellen Festival.
„Kuratieren“ als Auswahlprozess nach einem Open call ist ein zwiespältiger und komplexer Vorgang. Was sind eure Strategien, um ein Gleichgewicht zwischen dem Partizipatorischen und dem Kuratorischen zu bewahren, zwischen künstlerischer Professionalität und dem Anspruch, unterschiedliche Communities zu involvieren und auch im weitesten Sinne aktivistische Projekte zu ermöglichen?
Kuratieren als Auswahl ist ein sehr ambivalenter Prozess, mit dem ich mich bereits in meiner früheren Arbeit als Kuratorin in Belgrad stark auseinandergesetzt habe. In der Wienwoche haben wir diese Strategie der offenen Arbeitsgruppen entwickelt, an denen jede_r teilnehmen kann und die nichts mit einer Ausschreibung, einem Beirat oder einem kuratorischen Vorgang zu tun haben. Die Projekte, die daraus entstehen, sind oft zwischen sozialem Experiment und künstlerischem Aktivismus angesiedelt. Wir wissen nie, was das Ergebnis dieser Arbeitsgruppen sein wird. Im ersten Jahr gab es zwei Projekte mit je etwa 30 Teilnehmer_innen, daraus entstand die Cantina Corazón und Love Hacking, im zweiten Jahr eines mit etwa 70 Teilnehmer_innen, das Manifest der idealen Arbeit. Es gab eine fantastische Dynamik in diesen Gruppen, aber es sind auch die riskantesten und größten Projekte der Wienwoche, die größten Herausforderungen, jede_r kann mitmachen, die Ressourcen werden in der Gruppe verteilt, die Arbeit verläuft wirklich experimentell. Das ist für uns ein Gegengewicht zum kuratorischen Auswahlprozess, das Festival bleibt offen und zugänglich. Außerdem ist es für uns wichtig, nicht nur Projekte mit sehr erfahrenen Künstler_innen durchzuführen, sondern offen zu sein für Beiträge von Menschen, die neu im Kunstfeld oder nicht von hier sind, die unsere Unterstützung brauchen. Wir gehen sehr sorgfältig mit diesen Problemen der Repräsentation um, denn es geht ja dabei immer auch um die Frage, für wen die Wienwoche gemacht wird. Wir wollen kein Festival machen, das nur die kulturinteressierte Mittelklasse anspricht.
Wie geht ihr mit der Veränderung des politischen Klimas in Österreich in den letzten drei Jahren um? Wie erreicht ihr die Leute in der Stadt in Zeiten wachsender faschistischer Rhetoriken und antisozialer Politik?
Wir antworten mit unserem Programm, mit unseren Themen und Projekten auf die Veränderung des politischen Klimas in Österreich. Ich denke, ein Festival wie die Wienwoche ruft die Öffentlichkeit in dieser Situation mit noch mehr Kraft auf, der antisozialen, rechtslastigen Politik etwas entgegenzusetzen. Natürlich ist es schwierig, aber wir haben in Ex-Jugoslawien Erfahrungen mit konservativen Ideologien gemacht, es bleibt ein dauernder Kampf und der wird weitergehen.
Was sind eure Strategien, minoritäre Positionen nicht nur politisch und künstlerisch zum Thema zu machen, sondern Minderheiten auch als Teilnehmer_innen und Publikum der Wienwoche zu addressieren?
Marginalisierte Positionen werden nicht nur als Thema diskutiert, sondern auch über Partizipation verhandelt. Ich denke, dass man das nur so lösen kann. Aber die Wienwoche ist nicht nur für Minderheitenpositionen, sie ist für alle, die solidarisch denken und agieren.
Euer Open call hatte dieses Jahr ein explizit ökonomisches Thema: “Über Grenzen, Schleichwege und Gemeingut” spricht Grenzen an, fragt aber gleichzeitig nach Wegen, sie zu umgehen oder radikal andere Formen des Zusammenlebens vorzuschlagen. Was waren eure Absichten bei der Wahl des Themas und wie waren die Ergebnisse des Calls?
Das Thema des heurigen Festivals entsprang dem Wunsch, das Thema der Grenzen mit ökonomischen Fragestellungen in Verbindung zu bringen. Grenzen werden hier auch als soziale, kulturelle usw. gedacht. Die zentrale Frage ist für uns die nach der Zugänglichkeit von Ressourcen angesichts der Existenz von Grenzen. Es ist ein Aufruf, über diese Frage gemeinsam nachzudenken. Grenzen haben immer die Funktion gehabt, Ressourcen nur bestimmten Gruppen zugänglich zu machen – von der Privatisierung des Grundbesitzes bis zum Finanzmarkt. Es ist wichtig, diese Themen zusammenzudenken, wenn wir zum Beispiel über die Situation von Geflüchteten sprechen, über die globale Verteilung des Reichtums, über die Erzeugung von Kriegen, das alles steht natürlich in enger Verbindung zu ökonomischen Fragen.
Die Reaktionen waren überwältigend, wir haben 172 Einreichungen bekommen, wir haben noch nie so viele erhalten, und das zeigt, wie relevant das Thema und die Wienwoche für viele Leute ist. Wir stehen jetzt am Ende des Auswahlprozesses und ich muss zugeben, es gibt so viele wirklich gute Projekte, auch wenn nicht alle im Rahmen des Festivals realisiert werden können. Es wird ein wunderbares Festival und das macht mich in diesen schwierigen Zeiten sehr glücklich.