Osterhasen müssen wieder demonstrieren

Es war im Frühjahr 2012, als im Zuge der Erarbeitung von Maßnahmen für den Nationalen Aktionsplan Behinderung (NAP) Schoko-Osterhasen für Inklusive Bildung und das Ende von Sonderschulen demonstrierten. AktivistInnen der Selbstbestimmt Leben Bewegung hatten kleine Transparente mit Sprüchen wie „Keinem Kind tut eine Sonderschule gut“ oder „Inklusion statt Isolation“ gebastelt, den Osterhasen sozusagen in die Pfoten gedrückt und stellten diese bei Veranstaltungen des Bildungsministeriums auf. Damals nützte das nicht viel, denn während sich die Zivilgesellschaft engagiert einbrachte, hatten sich Bildungsministerium, Landeschulräte und die Gewerkschaft der Lehrpersonen längst auf das sichere Fortbestehen des Sonderschulwesen in Österreich geeinigt.

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In letzter Minute: Das Bildungsministerium und der NAP Behinderung

Seit Mitte 2019 wird nun an einem neuen NAP gearbeitet. Die Ministerien richteten eine Vielzahl von Arbeitsgruppen ein, um konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Österreich (UN-BRK) zu erarbeiten und bis Ende 2020 an das koordinierende Sozialministerium zu übermitteln. Doch das damalige Regierungsprogramm der türkis-blauen Bundesregierung sah – entgegen aller dringenden Handlungsempfehlungen der prüfenden UN-Ausschüsse für die Kinderrechts-, die Frauenrechts- und die Behindertenrechtskonvention – explizit eine Stärkung der Sonderschulen vor. Im Bildungsministerium schien sich daher auch niemand für die Erarbeitung neuer Maßnahmen für die Inklusion von Kindern mit Behinderungen zuständig zu fühlen. Erst im Jänner 2021 meldete sich Bildungsminister Faßmann zu Wort und präsentierte ein Consulting Board für Inklusion und Sonderpädagogik, von dem er sich beraten lassen wolle solle. Quasi in letzter Minute wurde dann im Februar und März 2021 auch die Zivilgesellschaft wieder zu Runden Tischen eingeladen – COVID-19 bedingt diesmal virtuell.

Am 25. März 2021 veröffentlichte der Bildungsminister via Presseaussendung ein Strategie- und Positionspapier des Consulting Boards[1]. Dieses trägt den Titel „Inklusive Bildung und Sonderpädagogik“ und ist im Stil einer offiziellen Publikation des Bildungsministeriums layoutiert, inklusive türkiser Leitfarbe. Das irritiert gewaltig, denn wieso können die vagen Überlegungen eines beratenden Gremiums, die keine einzige Empfehlung für eine konkrete Maßnahmen enthält, als offizielle Publikation des Bildungsministeriums präsentiert werden? Wo bleiben die konkreten nächsten Schritte des Bildungsministeriums, um der Aussonderung von Kindern mit Behinderungen in Sonderschulen endlich ein Ende zu setzen? Wo bleibt die Veröffentlichung der Empfehlungen und Forderungen der Zivilgesellschaft aus den beiden Runden Tischen?

Der Sonderschulpädagogik verpflichtet

Die schulische Integration von Kindern mit Behinderungen musste sich in Österreich von Beginn an gegen ein stark etabliertes Sonderschulwesen behaupten. Sie wurde als eine Variante, eine Möglichkeit der sonderpädagogischen Förderung verstanden, nie als neues Paradigma, wie es in Artikel 24 der UN-BRK schließlich als Menschenrecht verankert wurde. Wider alle internationalen Fachdiskurse war die schulische Integration von Kindern mit Behinderungen ebenso wie Inklusive Bildung in der Schulpraxis ebenso wie in der Schulverwaltung immer Zuständigkeit der Sonderschulen. Auch im Papier des Consulting Boards wird die Bedeutung der Sonderpädagogik für die Inklusive Bildung auffällig betont, zu befürchten bleibt, dass damit wie bisher Sonderschulpägogik gemeint ist.[2]

Neuerdings fällt die schulische Integration von Kindern mit Behinderungen in die Zuständigkeit des sogenannten Diversitätsmanagements. Dort muss sie sich gegen Themen wie Gendersensible Pädagogik, Nicht-Deutsche Muttersprache oder Hochbegabtenförderung behaupten. Sonderschulen sind nun ZFIDs: Zentren des Fachbereichs Inklusion / Diversität / Sonderpädagogik. Anstatt abgebaut, wurden sie also aufgewertet. Aus den (Sonder-)Schulinspektoren wurden DiversitätsmanagerInnen mit angeblich „hoher inklusionspädagogischer Kompetenz“[3]. Sie fühlen sich den Sonderschulen offensichtlich immer noch stark verpflichtet: Laut aktueller Bildungsstatistik haben im Schuljahr 2019/20 österreichweit 14.407 SchülerInnen eine der 281 Sonderschulen besucht. Das wissen die Menschen in den NGOs, die in den letzten Wochen an den Runden Tischen teilgenommen haben. Ihr Ärger über das Vorgehen des Bildungsministeriums ist ebenso groß wie die Befürchtung, dass ihre Einbeziehung am Rande der Erarbeitung des NAP wie im Jahr 2012 nicht mehr als eine Alibiaktion bleiben wird. Also müssen die Osterhasen wieder für Inklusive Bildung und das Ende der Sonderschulen in Österreich demonstrieren.


Mag.a Petra Flieger ist freie Sozialwissenschafterin und hat als Lehrerin mit behinderten Kindern bereits in den 1980er und 1990er Jahren integrativ gearbeitet. Ihr gemeinsam mit Claudia Müller herausgegebenes Fachbuch Basale Lernbedürfnisse im inklusiven Unterricht. Ein Praxisbericht aus der Grundschule wurde in der Stimme 101/2016 (Seite 32) besprochen.

[1] BMBWF (2021). Inklusive Bildung und Sonderpädagogik. Strategie- und Positionspapier des Consulting Board. Wien: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung.
[2] Vgl. dazu Grubich, Rainer (2019). Was ist das BeSONDERe an der SONDERpädagogik? In: Sonderschule vorwärt – rückwärts. Schulheft 174, 45 – 54.
[3] BMBWF (2021), a.a.O., 10.

 

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