Am Wochenende zwischen 7. und 9. Juli kam es in Hamburg während des G20-Gipfels zu teils heftigen Protesten: es brannten Autos, einige Geschäfte wurden geplündert, Straßenbarrikaden errichtet und mit der Polizei gerungen. Vor allem die Proteste und Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Protestierenden im Schanzenviertel sorgten für großes Aufsehen.
Bereits in „Echtzeit“ entbrannte eine öffentliche Debatte darüber, ob die Proteste und zum Teil unorganisierten Ausschreitungen als „Gewalt“ oder „Sachbeschädigung“ einzustufen seien, ob solcherart Protest legitim oder schlichtweg unsinnig sei und welche Funktionen Protest in dieser Radikalität erfüllen kann.
Judith Goetz von der Forschungsgruppe FIPU bewertet den Effekt der Hamburger G20- Proteste differenziert: „Seit Jahren können wir beobachten, dass ,friedliche‘ Proteste in der medialen Berichtserstattung – auch wenn dabei zig tausende Menschen mobilisiert werden können – meist nur eine Randnotiz wert sind. Proteste, bei denen Sachbeschädigungen passieren, sind hingegen ein Garant für mediale wie auch politische Aufmerksamkeit. Dadurch steigt auch die öffentliche Berichterstattung über die in den Proteste vermittelten politischen Anliegen, die jedoch in der Regel schnell wieder abreisst, da die Inhalte meist von Debatten über die Form der Proteste überlagert werden. Ich würde daher sagen, dass Proteste, wie sie gerade in Hamburg von statten gegangen sind, zu beidem führen: Erhöhter Aufmerksamkeit (auch für die Kritik an G20) einerseits, andererseits aber auch Verdrängung der politischen Inhalte durch den Fokus auf Gewaltfragen seitens der Medien und gesellschaftlichen Öffentlichkeit.“
Für viele konservative Politiker_innen war der Fall klar: derartige Ausschreitungen sind nicht zu billigen; eine Haltung, der sich Mainstream-Medien gern anschlossen. Deutschlands Innenminister, Thomas de Maizière (CDU), ging sogar so weit, dass er die Protestierenden mit Neonazis und islamistischen Terrorist_innen verglich. „Sie sind verachtenswerte Gewalttäter“, so Maizière im O-Ton bei der Pressekonferenz.
Gegen solche relativierenden Vergleiche verwehrte sich nicht zuletzt eine Gruppe Geschäftstreibender aus dem Schanzenviertel selbst: „Die Komplexität der Dynamik, die sich in dieser Nacht hier Bahn gebrochen hat, sehen wir weder in den Medien noch bei der Polizei oder im öffentlichen Diskurs angemessen reflektiert“, schreiben sie in einer Stellungnahme auf Facebook und weisen darauf hin, dass die von der Presse beklagten Schäden weniger besorgnisserregend seien als die Entwicklungen unserer Gesellschaft zu einer strukturell gewalttätigen, „in der jeglicher abweichende politische Ausdruck pauschal kriminalisiert und mit Sondergesetzen und militarisierten Einheiten polizeilich bekämpft wird“.
Weitere kritische Kommentare zu den Protesten und zur Polizeigewalt in Hamburg:
- http://achtermai.blogsport.de/2017/07/09/staat-polizei-riot-und-die-linke-thesen-zu-hamburg/
- http://www.taz.de/G20-und-die-Ausschreitungen-in-Hamburg/!5425752/