Mit welchen Diskriminierungen sehen sich Nichtweiße im Alltag konfrontiert? Der ZEIT-Magazin-Reporter Mohamed Amjahid erzählt über rassistische Alltagserfahrungen auf Grund seiner marokkanischen Herkunft.
Wie fühlt es sich an, wenn man als hoffnungsvoller marokkanischer Teenager seine Schwester in Deutschland besuchen möchte, aber kein Einreisevisum für das Land erhält? Und wenn man auf Grund seiner dunklen Hautfarbe bei der Einreise in die USA von texanischen Grenzbeamten festgenommen und stundenlang an einen Stuhl gefesselt wird? Das sind zwei von zwölf Episoden, die jeweils einem anderen Themenkomplex gewidmet sind.
Mohamed Amjahid gelingt es, seine persönlichen Erfahrungen mit der strukturellen Diskriminierung zu verweben und kritisch zu hinterfragen. Ausschlaggebend für seine Erlebnisse ist neben der Hautfarbe auch der Besitz des grünen marokkanischen Passes im Gegensatz zu einem blauen US-amerikanischen oder bordeauxroten deutschem Pass.
Doch auch die Diskriminierung in der Sprache sowie die Debatte um die rassistischen Überbleibsel aus der Zeit des Kolonialismus wie die „Mohrenstraße“ in Berlin oder der „Negerkuss“ werden nicht ausgespart. Amjahid konstatiert, dass der Widerstand gegen eine Dekolonialisierung unserer Sprache und damit unseres gemeinsamen Alltags immer noch sehr groß ist.
Begriffe wie „Tokenismus“ erklärt der Autor anhand von leicht anschaulichen Beispielen. Dabei wird die Integration einzelner Menschen aus einer benachteiligten Gruppe instrumentalisiert, um den Vorwurf der Diskriminierung von sich weisen zu können. Im Falle von Frauen bedeutet das etwa, dass einige wenige Frauen in Führungspositionen als Nachweis für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt, als „Tokens“ benutzt werden. Indem dem Autor die Rolle des gut integrierten Ausländers zugeschrieben wird, werden gleichzeitig die „Anderen“ als Integrationsverweigerer abgestempelt.
Nicht einmal sein akzentfreies Deutsch konnte dem ZEIT-Reporter weiterhelfen, als er im September 2015 am Münchener Hauptbahnhof über die Lage der ankommenden Flüchtlinge berichten wollte. Eine Helferin ließ sich nicht beirren und wolle ihm unbedingt erklären, dass Seife und Duschen gut seien. Als er sich umdrehte, um zu gehen, verfolgte sie ihn sogar über den Hauptbahnhof, sodass der Autor schlussendlich die Flucht ergreifen musste
Amjahid möchte seine Leserinnen und Leser zu einem kritischen Hinterfragen des eigenen Denkens und Handelns bewegen, denn wir haben alle einen Einfluss auf den Rassismus im Alltag. Im letzten Kapitel des Buches befindet sich „Der ultimative Selbsttest: Wie weiß sind Sie?“. Die Lesenden werden eingeladen, Fragen wie „Was denken Sie spontan, wenn Sie das Wort ,Ausländer’ hören?“, oder „Wie kann man in Deutschland die Integration von Einwanderern fördern?“ zu beantworten.
Sich selbst an der Nase fassen hat noch keinem geschadet. Die Lektüre des Buches ist allen zu empfehlen, die eine andere Perspektive einnehmen und den Alltag von nichtweißen MitbürgerInnen verstehen möchten.
Unter Weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein. Von: Mohamed Amjahid. Berlin: Hanser Berlin 2017. 192 Seiten; EUR 16,-. ISBN: 978-3-446-25472-5
Lesungen in Österreich:
Mittwoch, 04.10.2017, in Depot – Kunst und Diskussion, Breitegasse 3, 1070 Wien, Cornelia Kogoj im Gespräch mit Mohamed Amjahid.
Donnerstag, 05.10.2017 um 17:00 Uhr, in Südwind – Verein für Entwicklungspolitik und globale Gerechtigkeit, Leopoldstr. 2, 6020 Innbruck