Ein postmigrantisches Theater des Verlernens probt – oder: Die Wiener Festwochen 2017 sind vorbei

Theatermanager, Schauspieler und Tänzerin im Proberaum. Der Theatermacher und die Dramaturgin treten links ein; er trägt ein Gemälde mit sich, so, dass es für alle Anwesenden sichtbar ist.

Theatermacher: Mich macht das alles krank, sage ich. Ich werde auswandern. Wir alle sollten auswandern.

Dramaturgin: Ich bin ja schon einmal ausgewandert, weshalb ich hier eingewandert bin.

Theatermacher: Man kann eben noch einmal auswandern, wenn man merkt, man ist falsch eingewandert. Gibst du mir eine Zigarette?

Dramaturgin gibt ihm eine Zigarette, steckt sich auch eine an.

Heute habe ich eine neue Idee. Ihr werdet dieses Gemälde tanzen. Hat der vom Festivalbüro schon angerufen?

Theatermanager: Nein, er hat ja gestern gesagt, dass er nächste Woche anruft.

Theatermacher: Das macht mich krank! Jede Woche dasselbe! Wieso ruft er nicht heute an? Wie sollen wir so probieren? Alles neoliberaler Scheiß! Ein Grund mehr, auszuwandern. Ok, fangen wir an. Schaut euch dieses Gemälde an, ihr werdet es tanzen.

Schauspieler: Ich kann nicht tanzen.

Tänzerin: Gestern hast du gesagt, wir sollen das Gedicht des Syrers tanzen. Ich habe mich vorbereitet gehabt. Er auch.

Theatermacher: Heute tanzt du halt dieses Gemälde. Ist auch von einem Syrer. Zur Dramaturgin Kannst du den beiden bitte das Gemälde erklären? Aber nicht zu theoretisch, eher mit Beispielen. Was zählt, ist das Verlernen. Wie der Dingsda sagt, jetzt ist die Kunst der Chef – oder so ähnlich.

Dramaturgin: Und wer erklärt mir das Gemälde vom Syrer? Ich bin in Europa aufgewachsen.

Theatermacher: Du bist in Asien aufgewachsen.

Dramaturgin: Im europäischen Teil Kleinasiens, das ist nicht in Syrien.

Theatermacher: Zum Manager Hast du den Bühnenmenschen angerufen? Wieso ist die Bühne nicht fertig?

Theatermanager: Du hast gestern gesagt, du willst kein Bühnenbild. Die Bühnenbildnerin ist heute zu Hause geblieben.

Theatermacher: Gestern habe ich das Bild nicht gesehen gehabt, heute hab ich’s mitgebracht. Ich brauch’ einen Bühnenmenschen. Wie soll ich sonst probieren?

Tänzerin: Dieses Bild ist ja schrecklich, da soll ich etwas zum Tanzen finden an dem? Ich kann es nicht ab! Da kann ich echt nichts für. Das Gedicht war zumindest lyrisch.

Theatermacher: Das Gemälde ist postpolitisch. Es ist eine postkoloniale Heterotopie, die zur Dekonstruktion der cis-Räume eingesetzt werden soll. Der Dingsda, wie heißt er, der Franzose? Er sagt ja eh’, Differenz ist Wiederholung, oder so ähnlich.

Dramaturgin: Bespricht das Gemälde Also, dieser Berg ist eben asiatisch. Hört ihr mir überhaupt zu? Der Berg spielt in Asien eine wichtige religiöse Rolle, wie die Frühlingsrolle. Weil wenn nicht der Berg zum Propheten, und so weiter. Was ihr da seht, ist nur die Spitze des asiatischen Berges. Besonders für Nietzsche ist der Berg natürlich wahnsinnig wichtig. Weiß überhaupt jemand, wen ich meine?

Theatermacher: Sei bitte nicht albern! Da ist kein Berg – oh, shit! Ich habe das falsche Gemälde mitgebracht. Das ist das Bild des Japaners, des Dingsda. Gut, dann arbeiten wir eben damit.

Tänzerin: Echt jetzt? Ich hab’ null Bock darauf, hey! Das sieht aus wie ein Heimatfilm, bloß ohne Edelweiß.

Schauspieler: Ich kann doch nicht tanzen, habe ich schon tausendmal gesagt. Ich komme vom Sprechtheater.

Theatermacher: Wieso ruft er nicht heute an! Wie soll ich da ohne Bühnenbild und ohne eine diskursive Festivalstrategie ein Gemälde inszenieren, das obendrein das falsche ist? Ich lebe im falschen Land, und im Falschen entsteht nichts Gutes, wie der Dingsda sagt, oder so ähnlich. Zur Dramaturgin Gibst du mir eine Zigarette? Zum Zahnarzt muss ich ja auch.

Dramaturgin gibt ihm eine Zigarette, steckt sich auch eine an.

Schauspieler: Du, ich habe heute ein Problem mit dem Hals. Keine Stimme. Ohne Scheiß!

Theatermacher: Und ohne Schauspieler! Verdammt noch einmal, wie soll man in diesem Land noch postmigrantisches postpolitisches Theater machen? Geht das noch?

Sein Handy läutet.

Ja? Ach, du bist es. Natürlich hätte ich dich gebraucht, ohne Bühnenbild soll ich ein Stück machen? Ich habe eben meine Meinung geändert, na und? Was? Du hast eine Lebensmittelvergiftung? Du, dann bleib’ zu Hause. Das verstehe ich, Schatz. Hast du schon wieder Sushi gegessen? Ohgott, ohgott, veganes Kebab mit alles? Ja, dann machen wir’s ohne Bühnenbild; die spatiale Leere und so. Der Dings arbeitet auch so; er hat letztes Jahr den Hamlet gemacht ohne Bühnenbild als queere Raumbesetzung ohne Raum. Nein, nein, ich bin hier nicht der Chef; die Kunst ist jetzt der Chef, du weißt ja, der Dingsda …

Zu den anderen Es war die Bühnenbildnerin. Gehen wir was essen, ich hab’ jetzt Hunger. Wir können ja auch nachher probieren. Zum Syrer oder zum Japaner? Zum Zahnarzt muss ich ja auch.

Die Dramaturgin gibt ihm eine Zigarette, steckt sich auch eine an. Alle fröhlich links ab. Der Schauspieler singt laut, die Tänzerin trägt das Gemälde. Der Theatermanager telefoniert.

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