Wir setzen nicht gleich, wir vergleichen

Petra M. Springer im Gespräch mit der Historikerin Barbara Staudinger – Co-Kuratorin der Ausstellung „DIE STADT OHNE. Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer” im METRO Kinokulturhaus.

Petra M. Springer: Du kuratierst gerade mit Andreas Brunner und Hannes Sulzenbacher die Ausstellung „DIE STADT OHNE“. Kannst Du etwas zu den Hintergründen der Ausstellung sagen.

Barbara Staudinger: 2015 wurden fehlende Teile des Stummfilms „Die Stadt ohne Juden“ gefunden. Eine sehr erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne sicherte die Umkopierung und Digitalisierung. „Die Stadt ohne Juden“ war das erste filmische Statement gegen den Antisemitismus. Heute nach fast einem Jahrhundert ist der Film angesichts des weitweiten Aufstiegs der Rechten sowie der zunehmenden Ausgrenzung von bestimmten Personengruppen hochaktuell. Parallel zur Weltpremiere der neuen Fassung zeigt das Filmarchiv anlässlich des Republikjubiläums auch die Ausstellung „DIE STADT OHNE“.

Der Film stammt aus dem Jahr 1924. Kann er heute genauso gesehen werden wie damals?

Weder den Film noch die gleichnamige Buchvorlage von Hugo Bettauer kann man heute so sehen wie damals, denn wir wissen, was nachher geschah. Deswegen nehmen wir den Film als das wahr, was er nie war und nie sein wollte: als Prophetie. Bettauer schrieb eine politische Satire, in der er den Antisemitismus künstlerisch verarbeitete. Der Film versuchte der Vorlage die Politik herauszunehmen, indem er unter anderem das Geschehen von Wien in ein „Utopia“ verlegte. Trotzdem wurde die Message verstanden, die Nationalsozialisten haben über den Film gewütet.

Heute haben wir den Filter der Shoah davor. Die Szenen etwa, in denen die Juden und Jüdinnen zum Zug strömen, rufen bei uns andere Bilder ab als 1924. Wir thematisieren in der Ausstellung diesen Filter. Der österreichisch-amerikanische Fotograf Robert Haas hat Fotos von leeren Wohnungen gemacht, die Wiener jüdische Familien 1938 verlassen mussten – als Erinnerung für die ehemaligen Besitzer_innen. Diese Fotos aus seinem Nachlass ziehen sich durch die Ausstellung und erzählen davon, dass es die Stadt ohne Juden schon gab.

Leere jüdische Wohnung, Foto Robert Haas, Wien Museum

Der Hauptteil der Ausstellung folgt zunächst dem Film, der den Weg bis zum Ausschluss von Menschen zeichnet. Die Polarisierung steht am Anfang, gefolgt von der Definition von Sündenböcken, bis zum Verlust jeglicher Empathie und zur Brutalisierung der Gesellschaft. Wir haben in der Ausstellung versucht, diesen Weg sowohl für die 1920er- und -30er Jahre, als auch für heute nachzuzeichnen. Wir zeigen sowohl die Entwicklung des politischen Antisemitismus damals, als auch den Hass heute. Es heißt ja immer wieder, man könne die Entwicklungen von heute mit den 1920er und 30er Jahren vergleichen. Da haben wir uns gedacht, dann tun wir das mal! Wir setzen nicht gleich, sondern wir vergleichen.

Was wird in der Ausstellung gezeigt?

Den Weg von der Polarisierung bis zum Ausschluss zeigen wir etwa mit Wahlplakaten der 1920er Jahre, in denen alle großen Parteien mit Antisemitismus werben und mit dem „Daham statt Islam“-Plakat der FPÖ aus dem Nationalratswahlkampf 2006. Zum Verlust der Empathie zeigen wir ein Biologiebuch aus der NS-Zeit mit einer Illustration über „minderwertiges Leben“ – eine Vorbereitung auf das Euthanasieprogramm. Der Sebastian-Kurz-Sager aus 2016 im Zusammenhang mit der Grenzsicherung, dass es ohne hässliche Bilder nicht gehen werde, steht für die Empathielosigkeit heute. Für den aktuellen Antisemitismus steht unter anderem das Liederbuch der Burschenschaft Germania. Der Vergleich hört aber mit dem endgültigen Ausschluss der Menschen auf. An diesem Punkt verlassen wir den Film und zeigen, was tatsächlich geschah: die Shoah.

Uns war es wichtig, wenige Objekte zu zeigen, die aber starke Geschichten erzählen: So zeigen wir etwa ein Bild von Heinz Geiringer – er ist gewissermaßen das österreichische Pendant zu Anne Frank. Die Familie Geiringer stammt aus Wien, ist, wie die Familie Frank, nach Amsterdam geflohen und hat sich dort auf einem Dachboden versteckt. Übrigens ganz in der Nähe von Anne Franks Wohnung. Die beiden Familien haben sich gekannt. Während Anne Frank Tagebuch geschrieben hat, hat Heinz Geiringer gemalt. Auch sie sind entdeckt und nach Auschwitz deportiert worden. Vater und Sohn haben das Lager nicht überlebt.

Wir zeigen die Deportationslisten der Israelitischen Kultusgemeinde, da sie die Dimension des Massenmordes am besten darstellen. Auch der Koffer, mit dem Sigmund Freud geflüchtet ist, wird ausgestellt. Wir zeigen ein Interview mit Aba Lewit, einem Mauthausenüberlebenden, der einen Appell an die Menschlichkeit richtet. Als Klammer zu Bettauer und der Frage, was er mit seiner Satire über Antisemitismus beabsichtigte und was das mit heute zu tun hat, schlagen wir einen letzten Bogen ins heute, zur Containeraktion von Christoph Schlingensief im Jahr 2000. Schlingensiefs Aktion und Bettauers Buch sind gar nicht so weit voneinander entfernt, beide sind Satire, sind politische Kunst, zwischen denen fast 100 Jahre liegen. Das ist ein guter Abschluss für die Ausstellung und vielleicht eine Anregung für widerständische Kunst.

 

Die Stadt ohne. Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer. 2.3. bis 30.12.2018, täglich 15:00 bis 21:00. Metro Kinokulturhaus

 

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