Das Jugendwort des Jahres 2017 lautet: I bims. Mit ähnlicher Egozentrik betrat auch das Jahr 2018 die Bühne der Geschichte, als wollte es uns sagen: Die Achterjahre haben’s in sich, I bims. Ihr werdet euch noch wundern, was alles bei mir möglich ist.
So sage auch ich: Hallo, I bims wieder. Ich hatte das letzte Jahr heimgeschickt und eröffne dieses, vong Blog her (auch so ein Jugendsprachdings). Der letzte Beitrag galt dem Jahresrückblick, das hier ist eine Fünf-Jahres-Vorschau, vielleicht auch ein bisserl zweijähriges Jubiläum des IM BLOGs. Tja, wir kommen in die Jahre, und während ich Uhu (Unterhundertjähriger) mich hier in der Jugendsprache wälze, geht die Jugend unter Dauernieselregen demonstrieren. Also lautet die Frage: Was lernen wir daraus?
Und schon wird es intellektuell. Eines der berühmtesten Karl-Marx-Zitate geht so:
„Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“
Ob das nun Hegel genau so gesagt oder gemeint hat, interessiert hier nicht wirklich. Das Bonmot ist schön formuliert, passt auch gut zu dem Ereignis, das Marx im Auge hatte, nämlich zum Bonapartismus. Schließlich hieß der Mann ja auch Marx und nicht Kern.
Operette statt Trauerspiel
Was sich seit Dezember des letzten Jahres hierzulande abzeichnet, ist zwar die Wiederholung einer schwarzblauen Tragödie, mit deren Nebeneffekten (Stichwort: KHG) sich die Republik noch heute plagen muss – von deren politischen Folgen ganz zu schweigen. Allerdings lässt nichts an dem nun auf uns zukommenden Zweitaufguss der FPÖVP an eine Farce denken. Wir haben es eher mit einem bürgerlichen Trauerspiel zu tun, das viele Mitbürger_innen der „Mitte“ leider auf die ortstypische Weise zu deuten suchen: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.
Wieder einmal wird also eine Tragödie hierzulande als Operette rezipiert, und die Leute gehen hin, um den aufgewärmten Melodien zu lauschen und sich am Bühnengewand der Sänger_innen zu ergötzen, statt sich angesichts der Leiden, des Jammerns und Schauderns eine Gänsehaut fürs Leben zu holen. Pausen-Katarrh statt Katharsis, Lächeln statt Lernen, Stänkern statt Faule-Eier-Werfen. Die meisten Kommentare etwa, die ich unmittelbar nach Bekanntwerden des neuen Kabinetts hörte, bezogen sich auf die Mankos und Malheurs der Minister_innen aus Sicht dieser bildungsbürgerlichen Abteilung:
„Alles Quereinsteiger, unerfahrene Amateure!“
„Der kann ja ned amol – nicht einmal! – einen ganzen Satz sprechen!“.
„Lauter Studienabbrecher! Ein Ing.-Titel ist das höchste der Gefühle.“
„Ich schäme mich so für sie! Schön ist auch anders.“
„Der hat einen Dialekt darauf, bist g’scheit! So ein Bauernschädel.“
Wie gesagt, Operette. Hingegen bietet das besprochene Ensemble einen Kickl, einen Hofer, einen Kunasek, und freilich einen Strache, die allesamt ihren Text gut gelernt haben und ohne jeden Hänger ans Publikum bringen. Nichts ist aus dem Stegreif gesprochen, es gibt auch keine Versprecher. Bei ihnen hat das Spielen mit der Sprache und das augenzwinkernde Senden von Codes an das Stammpublikum („konzentriert an einem Ort“) Programm, das typische Versteckspiel mit Verbotsgesetz und politisch Verpöntem.
An diesem Punkt kommt die andere Abteilung ins Spiel, die empörten Alarmist_innen, die stets nach nationalsozialistischen Zeichen Ausschau halten, um diese Regierung abzulehnen. Als würde die Welt in Ordnung sein, würden die Kabinettsmitglieder keine Kornblume im Knopfloch tragen, keine versteckten antisemitischen Anspielungen machen, keine klammheimlichen Sympathiebekundungen für die Nazi-Zeit in ihre Reden einflechten. Gäbe es also keinen Grund für die Wiederbetätigungs-Empörung, wären wohl viele ihrer Gegner_innen längerfristig bereit, die Türkisblauen an „ihren Taten zu messen“, sei die Besetzung des Kabinetts auch noch so ungustiös, so unakademisch und weltweit so peinlich.
Autoritärer Etatismus
Das beteuern Kanzler Kurz und sein Kanzlerminister Blümel ja auch gebetsmühlenartig: Messet uns an unseren Taten! Und doch jagt ihr katatonischer Imperativ mir ein Bild vor das geistige Auge, mit oder ohne Nazi-Devotionalien: Eine Gruppe von Pyromanen läuft mit Fackeln in der Hand in einen dichten Wald und ruft: Wir sind keine Gefahr, messt uns an unseren Taten!
Wir brauchen keine Zeichen der Wiederbetätigung: Diese Regierung verkörpert so ziemlich alle Eigenschaften einer neuen rechten Ideologie, worüber sich manche Politiktheoretiker_innen bereits seit den 1970er Jahren Gedanken machen und die unter anderem „autoritärer Etatismus“ genannt worden ist. Rassismus als Staatsideologie, gepaart mit exekutivem Autoritarismus und einem minderheitenfeindlichen, biologistisch-sozialdarwinistischen Gesellschaftsmodell: das ist schon eine „rechte Gefahr“ – wenn auch ohne Nazi-Stiefeln und Hakenkreuz-Fahnen. Welche Rolle da welche Partei spielen wird, ist nicht gewiss. Die alarmistischen Empörten haben zwar stets die FPÖ im Visier und werfen der neuen ÖVP als „Bewegung“ bloß die Machtgier des Parteivorsitzenden, seine Jugend und seinen Opportunismus vor, weshalb er uns auch die Koalition mit der FPÖ eingebrockt habe. Doch, wir werden uns noch wundern, was unter Kurz selbst noch alles möglich sein wird!
Jedenfalls: Ein Ökonomie-Konzept, das Neoliberalismus in Reinform ist und alles Soziale abschaffen will, und ein autoritäres Staats-Konzept, das schon Datenschutz-Aktivist_innen kriminalisieren wird; das alles auf dem Hintergrund einer verbalen und juridischen Kriegserklärung gegen Geflüchtete, wofür Polizei und Bundesheer gleichermaßen eingespannt werden. So wird das türkisblau regierte Österreich in den nächsten fünf Jahren aussehen. Es sei denn, es macht sich eine Opposition im Parlament und außerhalb davon stark.
Wir versuchen diesen Widerstand als eine minoritäre Plattform. Auch hier, in diesem Blog. Habe ich schon erwähnt, dass wir gerade zwei Jahre jung geworden sind? Apropos jung; wieder zurück zur Jugendsprache: Die Demo in Wien am letzten Samstag – das war nicenstein. So viele junge Menschen, die trotz Kälte auf die Straße gingen, um zu zeigen, dass sie diese Regierung nicht wollen. Dass sie das Drohende sehen und nicht bereit sind, es zu akzeptieren. Das hat mich beeindruckt. Ich hoffe, dass junge Leser_innen meine patscherten Ausflüge in die sogenannte Jugendsprache als Versuch deuten, ihnen zu schmeicheln. Damit sie Sympathien entwickeln für den Squad hier. Die minoritäre Allianz ist in die Jahre gekommen, wir brauchen 1 neue Basis.
© Foto: Peter R. Horn