Angst vor Dummheit

Ich will heute von FOBO plaudern.

Wenn Sie wirklich geglaubt haben, ich würde hier über die Insel der Psychodeligen schreiben, wo anständig blau abgefüllte Politiker vor einiger Zeit Glock-Spiele mit einer pedikürevergessenen russischen Schauspielerin veranstaltet hatten, dann haben Sie sich geschnitten – und zwar am Polizeipferdeschwanz. Das Video hat es zwar Kurz ein Wochenende lang die Strache, äh Sprache verschlagen, ist aber mittlerweile so Schnee von gestern, dass sich nicht einmal narkotisch geschulte Hunde danach umdrehen würden! Nein, ich verliere kein Wort darüber, auch wenn Sie mich türkis und blau schlagen!

Die Stunde indes schlägt nicht mehr für Koks & Cola, sondern für das Reparaturseidl, wie eine Kabarettistin die Lage zu Recht umschrieben hat. Nun gut, Energydrinks waren in der Wanzen-Villa auch im Spiel, und die produktplatzierende Erwähnung der Marke könnte freilich unserem armen Blog hier gewinnbringend guttun. Dann hätten wir viele Euros und somit die ganze Blogszene – zack, zack, zack – in die Tasche eingesteckt. Aber medial ist der Ibizagate ungefähr so aktuell wie Waterloo, und damit meine ich weder den ABBA-Song noch den österreichischen Fast-Eurovision-Gewinner mit Winnetou-Ambitionen. Schon die Schatzinsel würde auf mehr Leser_innen-Interesse stoßen als die verkokste Russischstunde mit den heimatliebenden Blau-Gockeln auf Ibiza.

Also gibt es heute FOBO. Das ist keine denglische Abkürzung für „Fotobook“ und kein Akronym für „Freiheitlicher Ortsverein Berittener Ordnungspolizei“. FOBO ist eigentlich so etwas wie eine sozialpsychologische Tempobezeichnung: ein bisserl zwischen presto agitato und lento doloroso. Stellen Sie sich einen Dirigenten vor, der bei der Kleinen Nachtmusik den ersten Takt vorgibt, dann gleich ins Schwitzen kommt, angstvoll die Augen hin und her dreht, ohne den Taktstock auch nur einen Millimeter weiter bewegen zu können. Das Orchester hat bereits die ersten vier Töne gespielt und weiß nun nicht weiter. Können Sie sich das bildlich vorstellen? Nein? Sagen Sie, was in aller Welt hören Sie sonst im Musikverein? Sei’s drum; was ich sagen will, ist: Stress pur, und das bei totaler Handlungsunfähigkeit und Bewegungslosigkeit. Jetzt kapiert? Nice!

„Fear of better option“ lautet nämlich der ausgeschriebene englische Ausdruck für die trendy Angst, die vornehmlich jüngeren Personen im Genick sitzt und sie sich ununterbrochen die Frage stellen lässt, ob sie nicht eine bessere Möglichkeit verpassen, wenn sie sich für etwas Bestimmtes entscheiden. Die Sache ist komplizierter als alle bisherigen Angstformen, Urängste inbegriffen, und durch Schreitherapie ebenso schwierig in den Griff zu kriegen wie durch Placebo-Tiefenpsychologie.

Es beginnt zumeist mit einer wichtigen Entscheidung: Beispielsweise will die tinderjährige Person jemanden wischen, und die Dating-App zeigt viele interessante Faces. Kaum will die Jungwähler_in eine gut aussehende Person auswählen, schon bleibt die Hand in der Luft, der Swiper hält kurz inne, die Augen verengen sich, ein Prozess, der ans Denken gemahnt, nimmt seinen Lauf an. „Was ist“, lautet die im Stillen gestellte Frage, „wenn mir die nächste Person besser gefallen hätte und ich habe sie mir noch nicht einmal angesehen?“

Der junge Mensch hat gerade sein erstes Entscheidungs-Trauma erlebt und ist auf dem besten Weg, eine ordentliche FOBO zu kriegen. Er kann sich bald für nichts mehr entscheiden, ohne vorher lange und kalte Bäder in Angstschweiß zu nehmen, geht es dabei auch nur darum, auf die Frage zu antworten, ob er seinen Veggie-Burger mit viel oder wenig Zwiebeln haben will. (Darum fragt der marketingsichere türkische Kebab’n’Ayranman gleich „Mit alles?“, ohne die Entscheidung über Menge und weitere Einzelheiten dem_r Kund_in aufzubürden.) FOBO kennt keine Gnade. Jedes Wochenende wird zum Albtraum: Auf welche Party gehen? Welches Karaoke-Lokal aufsuchen? Bilderbuch oder Nino oder überhaupt ein anderer Act? Mit welchen friends chillen? Horror vacui, die Angst vor der Leere, war gestern, heute gibt es dessen Gegenteil: FOBO, die Angst vor der Fülle.

Doch genug gelästert! Es gibt wirklich auch Schlimmeres. Etwa bald wieder Wahlen in Österreich. Was uns da erwartet, ist gewiss keine Angst vor der Leere; es gibt immer irgendein kleinstes Übel, das man wählen kann. Es ist aber leider auch keine „Fear of better option“, welche die österreichischen Wähler_innen überfordern wird; so viel Gutes gedeiht nicht hierzulande. Man muss auch bei aller FOBO jungen Wähler_innen eines zugutehalten: Sie wählen immerhin nicht überwiegend demokratie-, menschenrechts- und minderheitenfeindliche Parteien – im Gegensatz zu manch Älteren. Jene Bürger_innen aber, die seit Jahrzehnten ungebremst die Politik wählen, die eigentlich gegen ihre eigenen Interessen agiert, werden sich auch diesmal, fürchte ich, für die gleichen Parteien entscheiden. Diese Angst, die mich vor jeder Wahl heimsucht, heißt nicht FOBO, sie heißt FOWO, “Fear of the worst option”, frei übersetzt: Angst vor politischer Dummheit. Siehe Vorzugsstimmen für Strache bei der Europawahl! Und siehe hier!

Dabei wollte ich ja heute nichts über Ibiza schreiben.

Bild: Wikimedia Commons / Public Domain
Jean Duvet (France, Dijon (?), 1485 - 1561) The Fall of Babylon, circa 1555 Print, Engraving, Plate: 11 7/8 x 8 3/8 in. (30.17 x 21.28 cm)

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