Es scheint, als hätte Bettina Wilpert mit ihrem vielbesprochenen und mehrfach ausgezeichneten Debütroman das Buch zur #metoo-Debatte geschrieben. Tatsächlich ist aber anderes an diesem Roman interessant: Es geht nicht um sexuelle Übergriffe im Rahmen von Macht- oder Abhängigkeitsverhältnissen, sondern ganz im Gegenteil: um Sex zwischen Anna und Jonas, die beide Teil der studentischen, linken Leipziger Szene sind, die in einem langen Sommer über ukrainische Popliteratur und universitäre Strukturen debattieren, gemeinsam abhängen und Wodka trinken und durchaus auch eine Nacht miteinander verbringen können.
Dann kommt es zu einem Geschlechtsverkehr, bei dem beide betrunken sind und von dem Anna nachher meinen wird, dass es eine Vergewaltigung war, während Jonas sich an einen vielleicht etwas missglückten, aber durchaus einvernehmlichen Sex erinnert. Aufregend ist Bettina Wilperts Roman nun, weil er nicht entscheiden will, was in jeder Nacht wirklich passiert ist, sondern vielmehr die Mechanismen offenlegt, die, als Anna Anzeige erhebt, auf beiden Seiten in Gang gesetzt werden. Soziale Ausgrenzung, Jobverlust und Selbstzweifel bei Jonas – posttraumatische Reaktionen, öffentliche Bloßstellung und Anschuldigungen bei Anna. Nachdem alle gesellschaftlichen Prozesse durchgespielt und sowohl die sozialen als auch die juristischen Logiken an ihr Ende gekommen sind, bleibt dieselbe Ungewissheit wie zuvor – und der beklemmende Eindruck, dass es eben keine geeigneten Instrumentarien gibt, um mit Übergriffen in den Grauzonen der Geschlechterverhältnisse adäquat umzugehen. Die Schaffung von „safe spaces“ in der selbstverwalteten Volksküche erweist sich letztlich als genauso ungeeignet wie polizeiliche Ermittlungsmethoden. Mit diesem unbequemen Eindruck hinterlässt uns Bettina Wilpert, und hat damit ein empathisches Buch gegen einfache Wahrheiten geschrieben.
Details: Verbrecherverlag
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