Wer sich bei Gesprächen dieser Tage damit vorstellt, dass er zur österreichischen Staatsbürgerschaft arbeitet, erntet häufig folgende paradoxe Reaktionen: während zwei der drei Gesprächspartner erklären, Doppelstaatsbürgerschaft wäre in Österreich ja verboten, erzählt die dritte ganz selbstverständlich, dass sie selbst zwei Pässe hat. Wie kann das sein? Doppelstaatsbürgerschaften sind in Österreich weitverbreitete Realität, die Politik weigert sich jedoch, diese Tatsache anzuerkennen.
Bei Geburt…
Aber der Reihe nach. Doppelstaatsbürgerschaft ist in Österreich nicht verboten. Sie entsteht zum Beispiel ganz automatisch bei der Geburt. Das Recht der Eltern, ihre Staatsbürgerschaft gleichberechtigt auf ihr Kind zu übertragen, führt bei Eltern mit unterschiedlichen Staatsbürgerschaften dazu, dass ihr Kind neben der österreichischen noch eine weitere Staatsbürgerschaft erwirbt. Beide Staatsbürgerschaften können ein Leben lang behalten werden. Ein Zwang, sich zwischen einer den beiden zu entscheiden, besteht nicht und tritt auch nicht – wie oft geglaubt wird – mit der Volljährigkeit ein. Gleiches gilt, wenn Abstammungs- und Geburtslandprinzip, die beiden international bekannten Prinzipien für den Erwerb einer Staatsbürgerschaft per Geburt, aufeinandertreffen. Bringt eine österreichische Mutter (Abstammungsprinzip) ihr Kind in Kanada (Geburtslandprinzip) zur Welt, erwirbt es ebenfalls automatisch zwei Staatsbürgerschaften, die es ebenfalls sein Leben lang behalten kann.
… und bei der Einbürgerung
Anders ist die Sache bei der Einbürgerung: hier pocht Österreich auf Exklusivität. Wer die österreichische Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung erwerben möchte, muss die bisherige aufgeben. Ausnahmen gibt es nur für Flüchtlinge oder wenn eine Rücklegung nicht möglich ist. Das ist dann der Fall, wenn ein Herkunftsland einen Verzicht rechtlich nicht vorsieht oder regelmäßig verweigert. Ansonsten wird nur bei Einbürgerungen im „besonderen Interesse der Republik“ (Stichwort: Netrebko und Co) von einer verpflichtenden Rücklegung der Staatsbürgerschaft abgesehen.
Bleibt schließlich noch der umgekehrte Fall eines Österreichers oder einer Österreicherin, die eine andere Staatsbürgerschaft erwerben möchte. Auch hier sieht das österreichische Recht prinzipiell Staatsbürgerschaftsexklusivität vor: wer eine andere Staatsbürgerschaft annimmt, verliert automatisch die österreichische. Doch anders als bei der Einbürgerung sind hier die Ausnahmen großzügiger geregelt. Wirkt sich der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft für den geborenen Österreicher oder die geborene Österreicherin nachteilig auf das Privat- und Familienleben aus, kann die Beibehaltung beantragt werden. Eine Möglichkeit, die bei der Einbürgerung nicht besteht. Der Staat weiß also, dass Doppelstaatsbürgerschaften für einzelne wichtig und notwendig sein können. Nur: während auf der einen Seite dafür eine rechtliche Möglichkeit geschaffen wurde, soll auf der anderen nun eine saftige Strafe drohen.
Donquichotterie
Wie oft eine solche Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft bewilligt wird, wissen wir übrigens nicht. Obwohl die Republik hier auf keinerlei Informationen von anderen Staaten angewiesen ist, wird keine Statistik darüber geführt. Genauso wenig gibt es seriöse Zahlen über Doppelstaatsbürgerschaften per Geburt. Klar ist lediglich, dass ihre Zahl stark im Ansteigen ist. Im Zeitalter der europäischen Freizügigkeit und einer zunehmend vernetzen und kleinräumigen Welt, ist binationale Partner- und Elternschaft keine Seltenheit mehr. Alleine schon deshalb ist Doppelstaatsbürgerschaft nicht zu verhindern, der Versuch sie hintanzuhalten eine Donquichotterie.
Unter anderem auch deshalb haben viele Staaten ihre Position zur Frage der Doppelstaatsbürgerschaft revidiert und akzeptieren auch bei der Einbürgerung, was bei der Geburt ohnedies nicht verhindert werden kann. Von den 28 Mitgliedstaaten der EU sind es bereits 18, die Doppelstaatsbürgerschaften voll akzeptieren; ein Trend, der auch weltweit beobachtet werden kann.
Pragmatismus und Akzeptanz
Es ist nicht nur Pragmatismus, der hier zum Umdenken bewegt hat. Die doppelte Staatsbürgerschaft wird nicht mehr als das Übel gesehen, als das sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch gegolten hat. Die Staaten leben zunehmend im Frieden und sehen einander mehr als Partner denn als potentielle Kriegsgegner. Damit schließt sich auch die gleichzeitige rechtliche Verbundenheit zu zwei Staaten nicht mehr per se aus. Und Fragen wie der Militär- oder Militärersatzdienst und der diplomatische Schutz lassen sich durch internationale Übereinkommen gut regeln.
Die Staatsbürgerschaft gilt als rechtliches Band, als der Ausdruck der Verbundenheit einer Person zu einem Staat. Die Realität zeigt, dass das für viele Menschen auf mehrere Staaten gleichzeitig zutrifft. Die Staatsbürgerschaft kann ein Abbild dieser Realität sein und diese mehrfache Beziehung auch rechtlich nachvollziehen. Wer die bisherige Staatsbürgerschaft aufgibt, verliert damit das unbedingte Recht auf Einreise und Aufenthalt, oft auch auf Grundbesitz oder Erbschaft im Herkunftsland. Die wenigsten Migrantinnen und Migranten der ersten Generation sind dazu bereit. Das gilt für ausgewanderte Österreicher ebenso wie für eingewanderte Türkinnen.
Die anachronistische Vorstellung einer monogamen Staatsbürgerschaft zwingt Menschen dazu, sich gegen etwas Bestehendes zu entscheiden, um Neues einzugehen. Wer Menschen als neue Bürgerinnen und Bürger willkommen heißen will, nimmt ihnen diesen unnötigen Zwang ab.