Verbunden mit der Initiative Minderheiten: Nadja Miko-Schefzig, queer-feministische Aktivistin

Mit unserer ehemaligen Obmann-Stellvertreterin Nadja Miko-Schefzig verbindet uns eine langjährige Freundschaft. In unserer Jubiläumsserie erzählt sie uns unter anderem, was sie politisch beschäftigt und was sie uns zum Geburtstag mitgeben möchte.

Foto: privat

Was hat Dich rund um das Jahr 1991 politisch bewegt?

Ich bin 1968 geboren. Im Geburtsjahr der Initiative Minderheiten war ich 23 Jahre alt. Es waren insbesondere drei „Erschütterungen“, die ungefähr in diese Zeit fielen, die mich politisch bewegten und überhaupt erst „politisierten“.

Die erste Erschütterung: In dieser Zeit hat mich am meisten die „Ost-Öffnung“, der Zusammenbruch der Sowjetunion und das Ende des Kalten Krieges bewegt. Jedes Wochenende im Sommer fuhren meine Eltern mit uns an den Neusiedler See, gleich dahinter zog der Eiserne Vorhang eine unüberwindbare und unverrückbare Grenze durch Europa. Es war mir aufgrund der räumlichen Nähe zum Osten schon als Kind bewusst, wie viel Glück ich gehabt hatte, dass meine Familie sich nach dem Zweiten Weltkrieg zufällig auf „dieser“ Seite des Vorhangs befunden hatte und ich bedauerte von Herzen alle Menschen, die auf der anderen Seite der Mauer oder des Stacheldrahts nicht „raus“ konnten. Als 1989 Flüchtlinge aus Ostdeutschland nach Österreich kamen, dachte ich: Wenn das möglich ist, ist alles möglich! Der Fall des Eisernen Vorhangs prägte in mir die Idee, dass geschichtliche Entwicklung immer Fortschritt im Sinne von Emanzipation und Freiheit bedeuten würde. Ich habe mich natürlich geirrt, aber der Eindruck dieser optimistischen Zeit hat mich trotzdem nachhaltig positiv beeinflusst.

Die zweite Erschütterung: In meiner gesamten Schulzeit in Niederösterreich und auch in meiner Familie war die Zeit des Nationalsozialismus ein Tabuthema oder einfach kein Thema. Erst als Studentin Anfang der 1990er-Jahre beschäftigte ich mich mit dem Holocaust und das war die zweite, politische und noch viel mehr emotionale Erschütterung, die mich „politisierte“. 1991 hielt Franz Vranitzky seine denkwürdige Rede, in der er Österreichs Opferrolle demaskierte und unsere Mitverantwortung thematisierte. Das ist für mich unvergessen mit diesem Jahr verknüpft. Dass sich die Initiative Minderheiten 1991 gründete, wusste ich damals nicht. Die IM war schon so weit, aber ich noch nicht.

Die dritte Erschütterung: Als die Kriege im ehemaligen Jugoslawien ausbrachen, in denen wir kurz zuvor noch ans friedliche Meer auf Urlaub gefahren waren, war es die dritte Erschütterung, die mir zeigte, dass zwischen Menschen auch heute noch alles möglich ist – das Beste und das Schlimmste.

Wer hat Dich politisch am meisten geprägt?

In den 1990er-Jahren waren es keine klassischen Politiker*innen, die mich prägten, sondern im engeren oder weiteren Sinn politisch-denkende Philosph*innen, darunter Judith Butler, Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Michel Foucault und Off-Mainstream-Künstler*innen/Performer*innen und Aktivist*innen wie Annie Sprinkle, Laura Méritt, Kate Bornstein, Angela-Hans Scheirl (damaliger Name) und Barbara Kraus.

Erst im späteren Rückblick wurde mir in den 1990ern klar, wie sehr die Ära Kreisy, Dohnal, Broda und später auch Franz Vranitzky glücklich in die 1990er hineinstrahlten und für meine Lebenswelt und gefühlte Freiheit durch ihre Politik und ihre politische Kultur prägend waren. Aber auch das Erstarken der Rechten in dieser Zeit um Jörg Haider war prägend und ist es bis heute. Bei den Grünen waren es nicht so sehr einzelne Personen, sondern die gesamte grüne politische Kultur und ihre Diskurse, die für mich bis heute sinnvoll und visionär sind.

Welche sind für Dich die wichtigsten (minderheiten-)politischen Errungenschaften der vergangenen 30 Jahre?

Mein Outing Anfang der 1990er Jahre hat mich in die „Szene“ schwul-lesbisch-trans-queerer Aktivist*innen und Hedonist*innen katapultiert. Dort war diese Zeit geprägt von der Angst vor AIDS, es ging um „Safer-Sex“ und um die Abschaffung schwulen- und lesbenfeindlicher Strafrechtsparagrafen. In der Rosa Lila Villa tanzten wir gefühlt auf dem „Vulkan“, in unserer Anfang der 1990er-Jahre noch abgekapselten Szenewelt schien alles möglich, während „draußen“, im „real life“ alles eher unwahrscheinlich schien. Es war unvorstellbar und unwirklich, dass zwei Jahrzehnte später Antidiskriminierungsgesetze für „gay-people“ in der Arbeitswelt gelten würden, dass große Unternehmen und die Wiener Straßenbahnen Regenbogenflaggen hissen und wir Queers unter dem Flügel des österreichischen Ehe- und Familienrechts „heiraten“ und in unseren Regenbogenfamilien Kinder bekommen, adoptieren oder in Pflege nehmen können. Diese Anerkennung der „gay rights“ war meine ganz persönliche Erfahrung von „das Private ist politisch“ und umgekehrt: „das Politische ermöglicht oder verunmöglicht das Private“. Wenn die Subkultur zum Mainstream wird bleibt auch etwas – nämlich die Gegenkultur und ihre Underground-Freiheit ein wenig auf der Strecke. Aber dennoch ist es für mich eine Errungenschaft. Nur 2021 – und nicht schon 1991 – kann ich leben, wie ich es heute tue: in eingetragener Partnerschaft mit meiner Lebenspartnerin, mit einem Doppelnamen, den wir mit unserem älteren Sohn, den ich adoptieren konnte, teilen und mit unserem Pflegesohn, der serbische Roma-Wurzeln hat. Wir sind eine diverse Familie und mein Sechsjähriger erzählt offenherzig auf jedem Spielplatz, im Kindergarten und in der Schule, dass er zwei Mamas, einen Bruder und zwei Katzen hat und – sehr stolz – dass wir eine Regenbogenfamilie sind.

Es waren noch weitere minderheitenpolitische Errungenschaften in den vergangenen 30 Jahren sehr wichtig für mich: das Gleichbehandlungsgesetz, das im Arbeitsleben und teilweise auch Privatbereich vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Alter, kulturell/ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung oder Religion/Weltanschauung schützen soll ebenso wie das Behindertengleichstellungspaket, das Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen verhindern soll. Aus meiner Sicht sind diese Gesetze in Österreich, allgemein im „Westen“und „Norden“ wichtige gesellschaftliche Zeichen und Gesten. Die Umsetzung von Gleichstellung erfordert noch große gesellschaftliche und politische Anstrengungen. Was das Geschlechterverhältnis betrifft, fürchte ich Rückschritte und sehe besonders weltweit noch unglaublich große Unterschiede zwischen den Chancen von Männern und Frauen.

Punktuell waren für mich die Anerkennung der Gebärdensprache 2005 als eigenständiger Sprache wichtig und die Gründung des Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus – letzteres spät und die Zahlungen aus meiner Sicht zu gering, aber ja – eine Geste immerhin.

Wichtige Errungenschaften sind für mich – sicherlich aus Perspektive einer Mutter mit recht jungen Kindern – sämtliche Anstrengungen und Fortschritte in der Elementarpädagogik und in der Schule, integrativ, inklusiv, reformpädagogisch und mehrsprachig zu erziehen bzw. Kinder zu begleiten.

Was beschäftigt Dich heute?

Heute beschäftigt mich am meisten der Klimawandel und wie Gesellschaften diese globale Herausforderung, die weltumspannendes, gemeinsames und langfristiges Handeln erfordert, bewältigen sollen.

Ich hinterfrage im Stillen meine früheren Vorstellungen von Freiheit, mit denen ich sozialisiert bin und an denen ich sehr hänge. Doch wie sehr haben wir die Erde und die Umwelt in den vergangenen 50 Jahren nicht zuletzt mit diesen „Freiheiten“ zugrunde gerichtet und ich war ein Teil davon. Welche Politik, welche Politiker*innen und welche Form der Gesellschaft braucht es für diese Herausforderungen?

Was charakterisiert für Dich die Initiative Minderheiten und was möchtest du uns zum Geburtstag mitgeben?

Die Initiative Minderheiten ist ein Stern, sie strahlt und strahlt und das seit 30 Jahren. Die IM hat aus meiner Sicht ihre Wurzeln in der Volksgruppenpolitik, diese ist heute eine ihrer vielen Wurzeln geworden. Die Initiative Minderheiten versteht sich genau als das, was ihr pluralistischer Name „Minderheiten“ schon sagt: Hier geht es nicht um eine Minderheit und um die anderen nicht. Es geht um eine politische und auch historisch ausgerichtete Verhandlung manchmal vielleicht widersprüchlicher Bedürfnisse und um den Anspruch auf Gleichwürdigung unterschiedlicher Menschen(-Gruppen) und ihrer Anliegen. Damit wird in der IM auch der Begriff Minderheiten relativiert, wenn etwa eine Mehrheit, wie die der Menschen, die weiblich sind, von Privilegien mehrheitlich ausgeschlossen sind und damit feministische Sichtweisen zu einem relevanten Faktor in der IM werden.

Die IM hat sich immer wieder erneuern können, mit unterschiedlichsten Menschen und ihren Anliegen, die aus meiner Sicht gehört und sehr ernst genommen werden. Diese Menschen bilden ein tragfähiges und vielfältiges Netzwerk, das die inneren Diskurse der IM und ihre Projekte prägt. Ich sehe die IM als unabhängigen Think-Tank, auch wenn dieser Begriff – wahrscheinlich eh schon wieder nicht mehr modern – irgendwie nicht ganz zur IM passt, denn er ist zu schick, zu slick und zu vergänglich. Das alles ist die IM nicht.  Die Initiative Minderheiten hat Rückgrat und Bestand, Dank jener Menschen im innersten Kreis und ihrer Teams, die in unzähligen (Kultur-)Projekten, in der Zeitschrift Stimme und im Radio Stimme unglaublich qualitätsvolle Beiträge zur außerparlamentarischen Politik und zum gesellschaftlichen Diskurs entwickeln. Ich persönlich danke besonders Sabine und Conny, die mich auch persönlich bis heute mit der IM verbunden haben.

Was wünsche ich der Initiative Minderheiten?

Ich wünsche der Initiative Minderheiten und allen beteiligten Mitarbeiter*innen und Mitgliedern alles Gute zum Jubiläum und möchte mich bei ihr und den beteiligten Menschen bedanken.

Heute, 2021 inmitten der Zeit der Korruptions-Skandale von Ibiza, Kurz-Chatnachrichten bis hin zu käuflichen Meinungsumfragen wird endlich auch wieder öffentlicher diskutiert, was eine echte Demokratie braucht und stärkt, z. B. unabhängige Medien, die nicht von politischen Machtmenschen gekauft und für das eigene Fortkommen um welchen Preis auch immer manipuliert werden.

Sie braucht aber auch vielfältige Formate, in denen Bewusstseinsbildung unabhängig geschehen kann. Ich wünsche mir daher, dass die Initiative Minderheiten weiterstrahlt und ihre Unabhängigkeit und die monetären wie auch personellen Ressourcen für ihre wertvolle Arbeit und ihren Beitrag zum politischen Diskurs bewahren und noch ausbauen kann.


Nadja Miko-Schefzig hat Philosophie und Wirtschaft studiert, in einer Styroporfabrik gearbeitet, als Dramaturgin im Performance-Bereich, in einem Institut für Gehörlosigkeit-, Gebärdensprache und Diversity Management und als Autor*in und Aktivist*in der queer-feministischen Bewegung. Seit über zehn Jahren ist sie Organisationsberaterin und Geschäftsführerin von kompetenzkreis dumpelnik + schefzig kg und versucht in diesem Rahmen, Organisationen und Personen auf ihren Wegen nach mehr Inklusion, Gleichstellung und bedürfnisorientierter Kommunikation zu unterstützen. Sie lebt mit Frau, Kind & Kegel in Wien/Ottakring.

 

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