In unserer Reihe “Verbunden mit der Initiative Minderheiten” wirft heute der Antirassismus-Aktivist und Mitstreiter Şenol Akkılıç einen sehr persönlichen Blick zurück auf die minderheitenpolitische Situation Anfang der 1990er Jahre.
30 Jahre Initiative Minderheiten – 30 Jahre Verlässlichkeit im Kampf gegen Hass und Xenophobie
Die Zeit Ende der 1980er und Beginn der 1990er Jahre war von einer rechtsextremen Entwicklung in Europa dominiert. Im September 1991 wurden in Hoyerswerda in Deutschland vor den Augen der Polizei Flüchtlingsheime angezündet. 1993 wurden in Solingen von Migrant*innen bewohnte Häuser in Brand gesteckt, fünf Menschen kamen dabei ums Leben. Damals lebte ich, der 1979 nach Wien gekommen war, in Vorarlberg. Wir demonstrierten auf den Straßen von Bregenz, Dornbirn und Feldkirch für Gleichberechtigung und waren noch nicht mit den erschreckenden Taten der Neonazis konfrontiert.
Als Dreiländereck zwischen Deutschland, der Schweiz und Österreich war Vorarlberg ein Treffpunkt für Nazis aus diesen drei Ländern. Ihre Präsenz und ihre physischen Angriffe auf Personen der autonomen Szene sowie auf als Migrant*innen erkennbare Menschen hatten sich gehäuft. Angst, dass wir ebenfalls Opfer dieser Angriffe werden würden, machte sich breit. Vor allem am Bregenzer und dem Dornbirner Bahnhof trafen sich die Nazis in größeren Gruppen von etwa zwanzig Personen.
Es war im November 1992, als wir den brandgefährlichen Hass aus der rechtsextremen Ecke am eigenen Leib zu spüren bekamen. Meine damals hochschwangere Frau und ich wollten am Dornbirner Bahnhof Freund*innen abholen, die mit dem Spätzug aus Wien kamen. Als wir gegen 23 Uhr vor dem Bahnhof parkten, war bereits spürbar, dass etwas Ungutes in der Luft lag. Aus der Bushaltestelle am Bahnhofsareal hörte man lautes Gegröle. Zunächst dachten wir an betrunkene Jugendliche. In der Zwischenzeit waren unsere Freund*innen angekommen. Als sie auf den Lärm aufmerksam wurden, sagten sie, „Schaut mal, die Nazis verprügeln einen.“ Wir schrien, dass sie den jungen Mann, auf den sie einschlugen, in Ruhe lassen sollten. Damit gerieten wir in ihr Visier. In Horden eilten sie, die rechten Arme zum Hitlergruß gereckt, auf uns zu und brüllten „Ausländer raus!“.
Wir versuchten uns zu wehren und konterten mit „Nazis, lasst uns in Ruhe!“ Ich war sehr besorgt wegen meiner schwangeren Frau, die sich sehr tapfer verhielt. Die „Ausländer-raus“-Schreie wurden immer lauter. Inzwischen waren wir von über zwanzig Nazis umzingelt. Nach kurzem Handgemenge beschlossen wir uns zurückzuziehen. Es gelang uns ins Auto einzusteigen. Unter „Ausländer-raus“-Geschrei verließen wir den Dornbirner Bahnhof. Es war deprimierend, ein tiefer Schlag in die Magengrube. Zwar waren wir als Zugewanderte in unseren Vereinen organisiert und wussten, wie wir dieses Phänomen politisch thematisieren sollten, doch es war klar, dass wir damit allein nicht zurechtkommen würden. Es musste eine Brücke zu einer der bestehenden politischen Parteien hergestellt werden. Es brauchte eine gemeinsame Anstrengung.
In dieser Zeit machten sich die Grünen für Menschenrechte stark. Terezija Stoisits, damalige Grün-Abgeordnete zum Nationalrat, war eine der lautesten Stimmen, die sich für Zugewanderte und für ein menschenwürdiges Leben einsetzte. Sie war hörbar kraftvoll und hartnäckig in ihren Forderungen. Dieser Umstand imponierte mir sehr. Dazu kam, dass sie der autochthonen Minderheit der Burgenland-Kroat*innen angehörte. Gekonnt verband Terezija die alten Minderheiten mit den Zugewanderten und stellte somit eine wichtige Brücke her. Auch ich wollte eine Brücke sein zwischen Migrant*innen und der österreichischen Gesellschaft – ein Grund für meine spätere Kandidatur bei den Grünen.
Als ich 1995 nach Wien zurückkehrte, erfuhr ich, dass die Initiative Minderheiten eine ähnliche Agenda wie Terezija Stoisits verfolgt. Die Zeitung „Stimme“ wurde für mich ab diesem Zeitpunkt zur Pflichtlektüre. Dass sich die Initiative Minderheiten unter der Geschäftsführung von Cornelia Kogoj als Plattform auch für zugewanderte Menschen öffnete und im Jahre 2003 die Trägerschaft für die Gastarbajteri-Ausstellung in Wien Museum übernahm, hat meine Bindung zur Initiative noch mehr gestärkt. Ich danke für die dreißigjährige erfolgreiche Arbeit und drücke meine Verbundenheit mit euch aus. Ich wünsche der Initiative Minderheiten weiterhin viel Erfolg.
Şenol Grasl-Akkılıç kam 1979 nach Österreich, er war jahrelang Aktivist in der antirassistischen Szene in Österreich. Er gründete die Jugendstelle des Wiener Integrationsfonds aus der das Interface entstanden ist und gehörte von 2010-2015 dem Wiener Gemeinderat an. Für großes Aufsehen sorgte sein Wechsel von den Grünen zur SPÖ. Er ist gemeinsam mit Marcus Schober und Regina Wonisch Herausgeber von “Aspekte der österreichischen Migrationsgeschichte”. Grasl-Akkılıç ist Politikwissenschafter und hat 2 Kinder.