Verbunden mit der Initiative Minderheiten: NR-Abgeordnete Faika El-Nagashi, Mitkämpferin

Mit der politischen Aktivistin und Grünen Nationalratsabgeordneten, Faika El-Nagashi, verbindet uns eine großartige redaktionelle Zusammenarbeit in ausgewählten STIMME-Ausgaben. In der heutigen Folge von “Verbunden mit der Initiative Minderheiten” beantwortet sie unsere Jubiläumsfragen.

Foto: privat

Was hat Dich rund um das Jahr 1991 politisch bewegt?

Im Jahr 1991 war ich 15 Jahre alt und Ungarin. Wir wohnten nun in einem kleinen Dorf in Niederösterreich und es war ein Jahr vor meinem ersten Coming-Out (dem mir selbst gegenüber), zwei Jahre vor dem Anti-Ausländer-Volksbegehren „Österreich zuerst“ der FPÖ unter Jörg Haider und drei Jahre vor meiner Einbürgerung als Österreicherin.

Durch den Umzug „aufs Land“ ein paar Jahre zuvor habe ich mich das erste Mal wirklich fremd gefühlt. Davor wohnten wir in Wien in Simmering und dann kurz in Liesing, und in meinem Umfeld war Diversität selbstverständlich, auch wenn wir es nicht so nannten. „Wo kommst du her?“ wurde zu einer der Fragen, die mich am meisten irritierten, weil Wien als Antwort offensichtlich nicht ausreichte. In der Schule besprachen wir das Binnen-I und „die Ausländer“, und das waren immer die anderen; ich sollte damit doch nicht gemeint sein. Im öffentlichen Raum alleine und im Dunkeln unterwegs zu sein, wurde mir zusehends unangenehmer. Ich wusste aber noch nicht, ob es an meinem Geschlecht oder an meiner Hautfarbe lag. Ich ahnte, dass es beides war.

Der Golfkrieg und seine mediale Begleitinszenierung brachten eine beständige Fülle an Kriegsbildern zu uns nach Hause und damit verwirrende und dämonisierende Polarisierungen. Ein Gefühl der Dringlichkeit wuchs in mir und der Wunsch, mehr zu erfahren, mehr zu verstehen und etwas zu tun. Das Lichtermeer 1993 wurde zur ersten Demonstration, an der ich teilnahm.

Welche sind für Dich die wichtigsten (minderheiten-)politischen Errungenschaften der vergangenen 30 Jahre?

Die Anerkennung der in Österreich lebenden Roma, Sinti und Lovara als Volksgruppe. Das Gewaltschutzgesetz, die frauenpolitischen Erfolge der Frauenvolksbegehren und die damit verbundenen Maßnahmen zur Geschlechtergleichstellung und Frauenförderung. Die Abschaffung der gegen Lesben und Schwule diskriminierenden Paragrafen im Strafrecht sowie die Möglichkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe, der Stiefkindadoption und der Adoption für lesbische und schwule Paare. Der EU-Aktionsplan gegen Rassismus 2020-2025 und das aktuelle antirassistische Volksbegehren „Black Voices“.

Was beschäftigt Dich heute?

Heute beschäftigt mich der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus und Diskriminierung (NAP). Bei den Verhandlungen zum Regierungsprogramm zwischen den Grünen und der ÖVP Ende 2019 habe ich den NAP eingebracht und ins Regierungsprogramm geschrieben. Er ist aber keine neue Erfindung. Bereits 1972 hat Österreich das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form rassistischer Diskriminierung (ICERD International Convention on the Elimination of all Racial Discrimination) ratifiziert. Die Vertragsstaaten verpflichten sich darin, jede Diskriminierung auf Grund von rassistischen Zuschreibungen, Hautfarbe, Herkunft, nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit mit konkreten politischen und gesetzlichen Maßnahmen zu bekämpfen. Im Rahmen der dritten UN-Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 in Durban (Südafrika) haben sie sich zudem dazu verpflichtet, in Konsultation mit Institutionen zur Bekämpfung von Rassismus und mit der Zivilgesellschaft nationale Aktionspläne gegen Rassismus auszuarbeiten.

In Österreich gibt es einen solchen Aktionsplan bislang nicht. Mit der Erarbeitung eines NAP gegen Rassismus und Diskriminierung zu beginnen, ist aber nur der erste Schritt. So etwas braucht das Leadership der Zivilgesellschaft, ausreichend Ressourcen und politisches Commitment. Immer noch ein langer Weg.

Was charakterisiert für Dich die Initiative Minderheiten und was möchtest du uns zum Geburtstag mitgeben?

Politische Kämpfe in Verbundenheit zu führen und über das Gemeinsame weiterzukommen! Unsere Unterschiede trennen uns nicht. Die Ungleichheiten, unter denen wir leben und die wir mittragen, schon. Die Initiative Minderheiten ist für mich die Praxis zur Theorie kritischer Diversitätspolitik und eine solidarische Anerkennung unserer unterschiedlichen Positioniertheiten. Ich wünsche der Initiative Minderheiten weiterhin viel Kraft, Mut und Gehör!


Faika El-Nagashi ist österreichische Nationalratsabgeordnete, Politikwissenschafterin und langjährige politische Aktivistin. Vor ihrem Einstieg in die Politik war sie 15 Jahre lang in zivilgesellschaftlichen Organisationen engagiert. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Antirassismus und Antidiskriminierung, in der Integrations- und Diversitätspolitik und den Frauen- und Menschenrechten.

 

 

Schreibe einen Kommentar