Verbunden mit der Initiative Minderheiten: Sabine Strasser, Freundin und Kooperationspartnerin

Anlässlich unseres 30-jährigen Bestehens haben wir Weggefährt*innen einige Fragen gestellt. Für den heutigen Blog-Beitrag hat sie uns Sabine Strasser, langjährige Freundin und Kooperationspartnerin beantwortet.

Im Jahr 1987

Was hat dich rund um das Jahr 1991 politisch bewegt?

1991 habe ich meine Diss geschrieben und wieder in der Frauenberatung gearbeitet – in der Koordinationsstelle für Bildungs- und Beratungsstellen für ausländische Frauen in Wien. Wir haben es schon länger geahnt, denke ich, dass es da noch mehr zu denken und zu tun gibt, als nur aktiv zu sein für marginalisierte und am Arbeitsmarkt benachteiligte Frauen – und dann war das feministische “wir” plötzlich vor allem mit den Differenzen zwischen Frauen beschäftigt, Black Feminism, postkoloniale Kritik, Women of Colour: Die grosse Fatima Mernissi kam nach Wien und ich glaube, ich bin vor Ehrfurcht ganz still geworden. Chandra Mohanti, Gloria Anzaldua: This bridge called my back. Und wir mussten lernen, was Dominanzkultur ist. Das hat mich wohl am meisten beschäftigt damals: zu bemerken, dass wir drinstecken, mitmachen, mitverantworten. Es war das Ende eines Feminismus, der andere beschuldigt und das Private politisch gemacht hat, plötzlich wussten wir, dass das Private ganz Unterschiedliches sein konnte. Ja, und dann setzte Judith Butler noch eines drauf – das war damals Politik für mich. Diese Frauen haben gesagt, dass Wut eine Kraft ist, die man für die Politik braucht. Ich glaube, am meisten war es Toni Morrisons Beloved und das Wort Mittäterschaft. Und in all dem gab es den biographischen Kreisky-Dohnal-Mythos: ohne die hätte ich nicht studieren können, der Glaube an Bildung als Eintrittskarte, das hat mich nie losgelassen.

Wer hat dich politisch am meisten geprägt?

Politisch am meisten geprägt im Denken haben mich diese Frauen und im Handeln waren es die Frauen in meinem Leben, Freundinnen waren meine Heldinnen und meine Vorbilder, keine großen Politikerinnen, sondern die sozial bewegten Frauen in den kleinen Vereinen!

Welche sind für dich die wichtigsten (minderheiten-)politischen Errungenschaften der vergangenen 30 Jahre?

Errungenschaften? Mir fällt ein, dass der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft so satt drinnen sitzt, dass ich immer diese Worte hören muss, dass wir schon genug getan hätten für geflüchtete Menschen – egal ob für Kinder oder Erwachsene, wir könnten noch so viel mehr tun. Sorry, aber Errungenschaften? Es sterben zu viele Leute an den Grenzen der reichen Länder, als dass ich Errungenschaften wahrnehmen könnte. Die EU diskutiert ernsthaft einen neuen deportationsbesessenen Migrationspakt mit Abschiebungen statt Aufnahme von Menschen als solidarischen Akt – da verblassen in meinen Erinnerungen Errungenschaften.

Das war meine politische Erziehung: Wut auf die bürgerliche Zufriedenheit, aber ich werde auch alt/naja älter!

Ich weiß, dass viele gute Arbeit machen, die Anerkennung der Roma hat mich berührt, als Feministin die Forderung auf gleiches Recht auf Ehe (die doch im Fokus unserer Kritik war) irritiert, aber klar doch, ganz wichtig für die LGBTIQ Bewegung! EU-Richtlinien Gleichbehandlung, Diversität – schön wäre es! Aber all diese Maßnahmen tragen oft nur den Gedanken des Rechts auf Differenzen und Chancengleichheit in sich, greifen zu kurz oder werden gar zu einer Art Ware von Institutionen. Aber sie waren ein Meilenstein der Antidiskriminierungspolitik. Ich hoffe die jungen Bewegungen gegen Rassismus und Sexismus und für den Planeten bleiben trotz Covid-19 stark und bringen neuen Wind. Ich bemerke unter den Studierenden diese Aufbruchsstimmung – sogar in den digitalen Räumen.

Was charakterisiert für dich die Initiative Minderheiten? Was möchten möchtest du uns zum Geburtstag mitgeben?

Zum Geburtstag wünsche ich der Initiative Minderheiten, dass sie immer wieder so gute Leute bekommt, die dann kleine Trutzburgen des Gegenwillens bauen können und junge Leute, die Neues bringen und Altes nicht nur verwerfen und Hakans bissige Kolumnen auf immer! Happy Birthday!


Sabine Strasser ist Professorin am Institut für Sozialanthropologie an der Universität Bern. 2007 bis 2011 war sie Associate Professor an der Middle East Technical University in Ankara und 2011-2013 Professorin an der Universität Wien. Sie promovierte 1994 zu Geschlechterfragen und Besessenheitsvorstellungen in einem türkischen Dorf am Schwarzen Meer und legte 2004 ihre Habilitationsschrift zu transnationaler Politik türkischer und kurdischer AktivistInnen vor. Sie war Gastprofessorin und Gastscholarin an unterschiedlichen Universitäten wie der London School of Economics, der Middle East Technical University, der Stanford University und der Universität Wien.

 

 

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