Im Pfarrhof von Globasnitz/Globasnica lebt seit zwei Jahren eine Familie aus Basra, aus dem Irak. Die Eltern und die beiden Kinder – eines im Volksschul- und eines im Kindergartenalter – haben sich gut eingelebt hier in dem kleinen zweisprachigen Ort in Kärnten, nahe der slowenischen Grenze.
Der im Jahr 1940 geborene Pfarrer, Peter Sticker, erzählt in einem Interview im Rahmen des Projekts FLUCHTKINO, warum es für ihn ganz klar war, nicht nur diese Familie, sondern schon während des Jugoslawienkrieges Geflüchtete aus Bosnien bei sich aufgenommen zu haben:
„Wir waren auch Vertriebene. Von 1942 bis 1945 waren wir in einem Lager südlich von Nürnberg. Also, ich habe das selbst erlebt. Obwohl ich eigentlich keine Erinnerung daran habe. Ich war damals wohl noch zu klein. Ich habe das als normal empfunden. Für uns war dann, als wir im August 1945 heimgekehrt sind neu, dass wir ein Haus haben, einen Besitz. An die Aussiedlung, an die Vertreibung, kann ich mich nicht mehr erinnern, nur an die Heimkehr. Trotzdem ist etwas geblieben in mir.“
Vor ziemlich genau 75 Jahren, am 14. April 1942, begann in Kärnten die gewaltsame Verschleppung von 917 Slowen_innen in die Lager der Volksdeutschen Mittelstelle nach Hesselberg, Hagenbüchach, Markt-Bibach, Frauenaurach und Glasow in Deutschland. Alle Frauen, Männer und Jugendliche ab 14 Jahren wurden zur Zwangsarbeit in verschiedenen Fabriken, in der Landwirtschaft und als Haushaltshilfen eingesetzt. Im Lager lebten die Mütter mit den Kleinkindern. Auf ihre Höfe in Südkärnten kamen Deutsche aus dem Kanal- und Mießtal, sowie aus Oberkrain, dem heutigen Slowenien.
Wie Helena Verdel in der Dauerausstellung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes schreibt, bot diese Vertreibung den Nationalsozialisten die Möglichkeit, gleich zwei Probleme mit einem Schlag zu lösen: „die Ansiedlung der Kanaltaler Optanten auf Deutschem Reichsgebiet und die ‚Bereinigung’ der leidigen Slowenenfrage. In einer Anordnung vom 25. August 1941 verfügte Heinrich Himmler, das ‚doppelsprachige Gebiet des Reichsgaues Kärnten’ für die Ansiedlung der Kanaltaler besonders heranzuziehen“. Und weiter heisst es „Die Slowenen wurden von der Aktion buchstäblich im Schlaf überrascht: Während SS und Polizei zur Eile antrieben, mussten sie binnen kürzester Zeit das Wichtigste packen oft noch kleine Kinder reisefertig machen und ihr Heim verlassen, ohne die leiseste Ahnung, wohin man sie bringen würde“.
Im Pfarrhof in Globasnitz/Globasnica wird heute ein Mix aus arabisch, deutsch und slowenisch gesprochen. Vor allem die beiden Kinder sprechen mittlerweile mit dem Pfarrer auch Slowenisch.
Fotos: Filmstils aus dem Interview mit Cornelia Kogoj im Juni 2016. Filmaufnahmen: Alaa Alkurdi und Hanna Schibel
Lieber Peter,
vielen herzlichen Dank!
Ja, ich glaube auch, dass unser “Erfahrungswissen” sehr viel damit zu tun hat, wie wir mit diesen Dingen umgehen. Tarak Barkawi klingt sehr interessant!
Herzlichst,
conny
Eine sehr gelungene Form von Gedenken, liebe Conny.
Der Kommentar erinnert mich an etwas, dass ich vor ein paar Jahren in einem Beitrag von Tarak Barkawi gelesen habe: “Revolutionary ideas do not come from books and manifestos, but from experiences and connections with different people”, hieß es dort. Barkawi exemplifiziert in dem Kommentar die These, dass uns konkrete Erfahrungen mit Unterdrückung und Leid, auch dem anderer, und der Kontakt mit “all manner of oppressed folk” zu einer universalistischen Vision “of the human race” führten, notfalls auch ganz ohne Theorie, an einem irischen Soldaten, der im Atlantik des 18. Jahrhunderts herum und in Berührung mit Sklaven, Indigenen enteigneten irischen Bauern, uvm. gekommen war, um schließlich nach einem erfolglosen Versuch die englische Monarchie “in the name of the human race” zu stürzen 1803 am Galgen endete.
Es ist es nur um so notwendiger, daran zu erinnern, wie diese Vision “of the human race” praktisch entsteht bei Menschen , denn – auch da kann ich Barkawi folgen – seit den Tagen seines gescheiterten Revolutionärs “we have regressed – not progressed”, scheint es heute doch so unendlich schwer geworden zu sein, jenseits von Rasse, Klasse, usw. zu agieren.