Heute in unserer Geburtstagsreihe, eine unserer wichtigsten Akteur*innen: die langjährige Obfrau Uschi Hemetek, die an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und gesellschaftspolitischem Engagement die Initiative Minderheiten über viele Jahre hinweg geprägt hat.
Was hat Dich rund um das Jahr 1991 politisch bewegt?
Die Minderheitenpolitik. Mit meiner Romaforschung (Beginn 1989/90) entstand auch das Bedürfnis, im Minderheitenbereich politisch etwas zu bewegen. Die Ablehnung des Bundeskanzlers, die Roma als Volksgruppe anzuerkennen, löste einige Aktivitäten aus, an denen ich beteiligt war, u. a. Kulturveranstaltungen, die auch immer politische Podiumsdiskussionen oder Vorträge beinhalteten (z. B. Volk ohne Rechte, Amerlinghaus 1991).
Zwei Vereinsgründungen beschäftigten mich in diesem Jahr sehr, nämlich die der Initiative Minderheiten(jahr) und des Romano Centro. Dass man in Österreich Vereine gründen muss, um Subventionen beantragen zu können, lernte ich damals. Ich lernte auch, dass NGOs politische Kräfte sind, die Ideen und Forderungen vorantreiben können und die möglicherweise von den politisch Verantwortlichen mehr gehört werden als Einzelpersonen.
Es war für mich generell eine Zeit wichtiger Erfahrungen mit politischem Handeln. Die Initiative Minderheitenjahr wollte 1993 ein „Jahr der Minderheiten“ ausrufen, ähnlich dem „Bedenkjahr“ 1988. Dies war die Idee Michael Oertls, an deren Umsetzung wir 1991 intensiv arbeiteten – nunmehr als Verein. Es wurden Termine im Bundeskanzleramt, bei Frauenministerin Johanna Dohnal, im Außenministerium, bei den Grünen und beim Liberalen Forum wahrgenommen und es war die Zeit, in der sich der breite Minderheitenbegriff herauszukristallisieren begann. Unser Begriff stieß damals auf politischen Widerstand, sowohl bei den Grünen als auch bei der ÖVP, interessanterweise am wenigsten beim Liberalen Forum.
Das Jahr der Minderheiten wurde von der Bundesregierung letztendlich nicht ausgerufen, aber das Jahr 1994 von der Initiative Minderheiten zum Minderheitenjahr erklärt. Dies war möglich, weil die Initiative Minderheiten sich inzwischen tatsächlich zu einer politischen Minderheitenplattform entwickelt hatte. Es fanden zahlreiche Veranstaltungen zum Thema in diesem Jahr statt.
Wer hat Dich politisch am meisten geprägt?
Was mich in meiner Arbeit als Wissenschafterin in der Minderheitenforschung am meisten politisch geprägt hat, sind die Diskurse in der Initiative Minderheiten, die mir eine neue Welt eröffnet haben, in der direkten Auseinandersetzung mit VertreterInnen von Minderheiten. Auch der breite Minderheitenbegriff, an dessen Entwicklung ich damals teilnehmen durfte, prägt bis heute mein wissenschaftliches Handeln. Es sind also jene Persönlichkeiten, die Minderheitenangehörige, die damals involviert waren, die mich geprägt haben.
In der Arbeit in der Minderheitenpolitik haben mich Erfahrungen mit politisch Verantwortlichen geprägt. Im persönlichen Gespräch erwiesen sie sich sehr oft als inspirierende GesprächspartnerInnen, meist ganz anders als von ihren medialen Auftritten her bekannt. Die Umsetzung des Vereinbarten ließ allerdings meist auf sich warten, wenn sie überhaupt stattfand. Diese persönlichen Eindrücke sollen jedoch nicht die großen Verdienste mancher politischen Persönlichkeiten in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich schmälern, wie z. B. Hilde Hawlitschek und Rudolf Scholten als KulturministerInnen, Ursula Pasterk als Wiener Kulturstadträtin, aber auch Caspar Einem in seiner kurzen Episode als Innenminister. Johanna Dohnal als erste Frauenministerin war zweifelsohne eine Lichtgestalt und Terezija Stoisits hat im Parlament sehr viel bewegt. Franz Vranitzky war der erste Bundeskanzler, der sich für die NS-Verbrechen entschuldigt hat.
Die für mich prägende Negativ-Gestalt für die Minderheitenpolitik war Jörg Haider; er wurde sogar auf einer ganz persönlichen Ebene zu meinem Feindbild, ich hasste ihn richtig. Einige Jahre später dann der Attentäter Franz Fuchs, von dessen Aktionen die Initiative Minderheiten direkt betroffen war. Es war eine neue Erfahrung, zur Gruppe der von Terror bedrohten Einrichtungen zu gehören.
Welche sind für Dich die wichtigsten (minderheiten-)politischen Errungenschaften der vergangenen 30 Jahre?
Die frühen 1990er Jahre waren meiner Meinung nach von einer gewissen Aufbruchsstimmung geprägt, auch im Minderheitenbereich. Jörg Haider hat zwar ein „Ausländervolksbegehren“ initiiert, es sind aber auch 300.000 Menschen dagegen auf die Straße gegangen – beim Lichtermeer. Die Gesellschaftsfähigkeit von „Ausländerbeschimpfungen“ begann abzunehmen und „Integration“ bedeutete damals nicht „Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft“ sondern auch die Schaffung von gesellschaftlichen Voraussetzungen für ein gelungenes Miteinander. Die NGO’s konnten etwas bewegen.
In dieser Zeit gelangen einige wichtige Weichenstellungen, die zum Teil bis heute wirksam sind: die Roma wurden als Volksgruppe anerkannt, der Minderheitenbegriff der Initiative Minderheiten hat sich durchgesetzt, es wurde eine Staatszielbestimmung zur Anerkennung von kultureller Vielfalt beschlossen, allerdings nur „autochthone“ Minderheiten betreffend, das Burgenland bekam zweisprachige Ortstafeln und es wurde ein Staatssekretariat geschaffen – leider nicht für Minderheiten, wie von der IM gefordert – sondern für Integration. Zudem gibt es mehr Bewusstsein für Genderfragen, was ich vor allem aus universitätspolitischer Sicht beurteilen kann und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist festgeschrieben.
Es hat in diesen 30 Jahren aber auch Rückschritte gegeben.
Wir hatten schwarz-blaue Regierungen, die in der Minderheitenpolitik viel verbrannte Erde hinterließen.
Das gesellschaftspolitische Szenario rund um die sogenannte „Flüchtlingskrise“ 2015 hat alle früher ausländerfeindlichen, nunmehr islamophoben Tendenzen wieder aufleben lassen. Es ist heute wieder gesellschaftsfähig, sich islamfeindlich und menschenverachtend zu äußern – und zwar öffentlich. Die Frauenpolitik hat nach Dohnal wesentliche Rückschläge erfahren. Durch die Pandemie verstärken sich gesellschaftliche Gegensätze, die VerliererInnen sind einmal mehr marginalisierte Gruppen und Frauen. Rechtsradikale Netzwerke verbünden sich mit Corona-Skeptikern und gehen nun schon fast jedes Wochenende auf die Straße.
Was beschäftigt Dich heute am meisten?
Die ethnomusikologische Minderheitenforschung. Durch die Verleihung des Wittgensteinpreises 2018 war es mir möglich, 2019 das Music and Minorities Research Center (MMRC) an der Universität für Musik und darstellende Kunst zu gründen (www.musicandminorities.org). Ich bin dabei, es nachhaltig zu verankern und die Erfahrungen aus der Initiative Minderheiten sind u. a. Grundlage für meine ethnomusikologische Tätigkeit und die Initiative Minderheiten ist die Hauptkooperationspartnerin des MMRC.
Was charakterisiert für Dich die Initiative Minderheiten und was möchtest du uns zum Geburtstag mitgeben?
Die Initiative Minderheiten ist für mich die spannendste Minderheiten-NGO in Österreich, deren Entwicklung auch mich und meine Arbeit stark geprägt hat. Der breite Minderheitenbegriff, die Idee von der minoritären Allianz, das hohe Niveau der Diskurse und äußerste Professionalität machen die Initiative Minderheiten so attraktiv und in der Summe sind sie auch ein Alleinstellungsmerkmal in der österreichischen Minderheitenszene.
Ich wünsche der Initiative Minderheiten, dass sie weiterhin auf diesem hohen Niveau bestehen kann und ich wünsche mir vielfältige Kooperationen.
Ursula Hemetek, Ethnomusikologin und Wittgensteinpreisträgerin. Leiterin des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der mdw und Gründerin des MMRC (Music and Minorities Research Center). Mitbegründerin und bis 2002 Obfrau der Initiative Minderheiten.